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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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bricht in Schluchzen aus. Im
     ersten Moment versagt mir die Stimme. »Burage …«, sage ich dann sanft.
    »Lassen Sie mich in Ruhe!«
    Eine wenig ermutigende Reaktion. Nach einer Weile strecke ich die rechte Hand aus und berühre ihre Schulter. Meine Hand wird
     sofort zurückgestoßen.
    »Rühren Sie mich nicht an, Sie Musterexemplar von einem Sexisten, Sie!« sagt sie unter Tränen.
    »Immer noch! Was habe ich denn gesagt …«
    »Sie haben nichts gesagt, Sie haben was gedacht.«
    »Jetzt können Sie auch schon meine Gedanken lesen!«
    »Verschonen Sie mich mit Ihrer plumpen Ironie.«
    Aber natürlich, meine Ironie kann nur plump sein. »Und was habe ich gedacht?«
    »Als ich am Wachtturm fünf Minuten zu früh erschien, haben Sie darin einen Beweis weiblicher Leichtfertigkeit gesehen.«
    |327| »Nicht im geringsten. Ich hatte genauso schuld.«
    Sie ist in Fahrt.
    »In der Lichtung haben Sie mich der Gefühllosigkeit bezichtigt, als ich Ihnen verbot, das Auto zu verlassen, um Dave zu beruhigen.«
    »Aber nein. Sie hielten sich an die Vorschrift. Ich nicht.«
    »Und jetzt, als ich anfing zu weinen …«
    »Irrtum! Ich dachte nur daran, daß die jetzige Zivilisation Ihnen zu weinen gestattet und mir nicht!«
    Bei diesen Worten reiche ich ihr mein Taschentuch, das so weiß wie Noahs Taube ist. Das Weinen läßt nach. Sie nimmt die Hände
     vom Gesicht. Nach ein paar kleinen krampfhaften Schluchzern tritt allmählich Ruhe ein. Mir selbst ist die Kehle wie zugeschnürt.
     Schließlich weinen die Helden auch bei Homer.
    »Oh, Ralph, ich hatte so schreckliche Angst, als diese Lange mir befahl, den hinteren Wagenschlag zu öffnen!«
    »Sie haben sich sehr gut aus der Affäre gezogen.«
    »Nein, nein, Ralph, Sie haben die Situation gerettet. Sie waren phantastisch! Und das kam so überraschend! Ich hatte sie immer
     für ein bißchen feige gehalten, weil Sie so sensibel sind.«
    »Danke.«
    Sie hört es nicht. Meine Vorzüge wachsen in ihrer Vorstellung und in ihren Äußerungen zusehends.
    »Armer Ralph! Wie habe ich für Sie gelitten! Und Sie hielten den Schlägen stoisch stand! Wie eine kleine Bulldogge ans Steuer
     geklammert.«
    Das »klein« wäre vielleicht nicht nötig gewesen.
    Sie lacht, rückt auf dem Doppelsitz an mich heran und zieht mich in ihr Netz. Ich packe sie mit der rechten Hand. Das wäre
     der Hafen. Friedliches Gewässer. Eine sanfte Brise. Wir machen als Paar fest. Mir fällt auf, daß keine Rede mehr war von »nur
     einer Initiative fähig sein, um meinem Sohn zu Hilfe zu eilen«. Schweigen. Unsere beiden Maste schaukeln Seite an Seite.
    Ich muß ihre Finger im übrigen bald loslassen. Ich brauche beide Hände zum Fahren. Aber ich fühle mich erleichtert. Die Augen
     auf die Schlußlichter des Jeeps gerichtet, die Ohren vom Heulen der Motorräder erfüllt, macht es mir Mühe, ein angemessenes
     Gespräch zu führen.
    |328| Nach dreistündiger Fahrt überquert der Jeep einen Flughafen – ein Militärflugplatz, scheint mir – und führt uns geradewegs
     in den Schlund eines Lufttransports, der den Ford-Lieferwagen verschlingt. Man braucht ihn vermutlich als »Beweis stück «. Vorher hatte ich Dave aus seinen Decken geholt. Er schlief!
    Aber im Flugzeug ist er wieder hellwach. Fragend leuchten seine großen, von dichten schwarzen Wimpern gerahmten Augen in seinem
     langgezogenen Gesicht – und in meinem Halbschlaf bin ich Jackie unendlich dankbar, daß sie sich seiner annimmt und ihm endlos
     etwas erzählt. Ich kauere mich auf einen Sitz, schnalle mich fest und schließe die Augen.
    »Ralph«, sagt Burage, während sie sich neben mich setzt, »Sie können jetzt nicht schlafen. Ich habe eine Arbeit für Sie.«
    Ich öffne die Augen und erblicke eine Neuausgabe von Burage: sie hat sich gekämmt, ihr Gesicht ist glatt, ihre Bewegungen
     sind präzise, die Worte klar. Sie ist so frisch, als hätte sie gerade einen langen Schlaf und ein Bad hinter sich.
    »Ralph, hier ist der Text Ihrer Mitteilung an das kanadische Fernsehen. Selbstverständlich dürfen Sie ihn nicht vorlesen,
     sondern müssen so tun, als ob Sie frei sprechen. Der Flug wird eine halbe Stunde dauern. Sie werden sofort nach der Landung
     interviewt. Sie haben also eine halbe Stunde Zeit, sich den Text anzueignen.«
    »Sie denken an alles!« sage ich, äußerst schlecht gelaunt. »Haben Sie diesen Text aufgesetzt?«
    »Oh, nein! Er wurde auf einer viel höheren Ebene ausgearbeitet. Sie sehen doch ein, daß man Sie nicht irgend etwas

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