Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
auf der Hand; aber Anita versicherte mir, daß die Journalistinnen, die ihn so nannten, für ihn eine aufrichtige Bewunderung
     empfanden, in der ein echter Beschützerinstinkt mitschwang.
    Schließlich waren wir alle sehr froh darüber, daß Präsidentin Hope aus der familiären Atmosphäre Kraft schöpfen konnte, denn
     sie sah sich einer äußerst schwierigen Situation gegenüber. In allen Ländern, vor allem aber in den USA, hatte die Enzephalitis
     16 furchtbare Verheerungen unter der männlichen Bevölkerung angerichtet. In den Vereinigten Staaten sprach man nicht, wie
     in Europa, über das Geburtenproblem. Die Präsidentin verwendete als erste einen mit historischen Reminiszenzen beladenen Begriff;
     sie sagte, daß der »demographische Wiederaufbau« der Vereinigten Staaten einen absoluten Vorrang erhalten müsse.
    Das Wort war spezifisch amerikanisch, und die getroffenen Maßnahmen oder, genauer gesagt, die liberale Grundhaltung, auf die
     sie zurückgingen, unterschieden sich weitgehend von den Lösungen, zu denen man anderweitig gelangte. In Europa, wo sich der
     Konservatismus der Sitten auf eine lange Tradition |350| stützte, glaubte man den Bevölkerungszuwachs durch Verbot der Schwangerschaftsunterbrechung und der Homosexualität zu begünstigen.
     Präsidentin Hope beurteilte diese repressive Politik mit Strenge. Nach ihrer Meinung wurde dadurch das unveräußerliche Recht
     eines jeden Individuums auf seinen eigenen Körper in Frage gestellt und die reproduktiven Organe der Bürger im Dienste des
     Staates mit Beschlag belegt. Die Präsidentin glaubte außerdem, daß die Empfängnisverhütung und die Abtreibungen sich auf den
     demographischen Wiederaufbau nur geringfügig auswirkten und die Bedeutung der Homosexualität gleich Null sei. Hope zufolge
     wollte die überwiegende Mehrheit der Frauen Kinder haben; man würde sie keineswegs dazu veranlassen, noch mehr zu gebären,
     wenn man die verschwindende Minderheit, die gegen das Kinderkriegen ist, ins Gefängnis würfe. Es sei vielmehr notwendig, Vorteile
     und Erleichterungen für die Frauen zu schaffen, damit sie eine große Familie nicht als niederdrückende Last oder lebenslängliche
     Sklaverei empfinden müssen.
    Das gehörte zu den Zielen des
Neuen Gesetzbuchs der Frau.
Es war im ersten Jahr der Hope-Administration erlassen worden und trug einer historischen Tatsache Rechnung: Nach der Epidemie
     gab es keine nur im Haushalt tätige Amerikanerin mehr, die Herrschaft der
Hausfrau
war zu Ende, außer den Rentnerinnen arbeiteten alle Frauen.
    Das
Gesetzbuch der Frau
zog aus dieser Tatsache alle notwendigen Schlußfolgerungen. Danach gab die Frau selbständig ihre Einkünfte an, zahlte ihre
     Steuern, gab den Kindern ihren Namen und nahm deren rechtskräftige Vormundschaft bis zur Volljährigkeit allein wahr. Das
Gesetzbuch der Frau
anerkannte in Wirklichkeit nur einen Elternteil: die Mutter. Sie allein nahm die Familienzuwendungen, die sozialen Dienstleistungen
     und die erheblichen Steuererleichterungen in Anspruch, die die Hope-Administration gewährte.
    Die Rolle des Vaters wurde nur zwischen den Zeilen erwähnt. Obwohl die neue Regierung die Gesetze gegen die Polygamie als
     sinnlose Repressalie abgeschafft hatte, war an keiner Stelle ausdrücklich gesagt, daß die Struktur der Ehe in den USA verändert
     werden sollte. Im Gegenteil, dem Paar – ob es nun katholisch, protestantisch oder jüdisch war – blieb es völlig freigestellt,
     sich in der Kirche seiner Wahl trauen zu lassen. |351| Aber der Begriff des »Ehemannes« und des »Vaters« war insofern abgeschafft, als die an diese zweifache Rolle gebundenen Pflichten
     und Rechte aufgehört hatten zu existieren. Das Gesetzbuch verwendete wohl den Begriff »Erzeuger«, aber der Erzeuger gab weder
     der Frau, die er befruchtet hatte, noch den aus dieser Beziehung hervorgegangenen Kindern seinen Namen. Er durfte die Kinder
     auch nicht mehr auf der Steuererklärung anführen und war weder verpflichtet, sie zu ernähren, noch mit ihrer Mutter zusammen
     zu leben.
    Die einzige Bindung, die ein Mann zu seinen Nachkommen herstellen konnte, bestand darin, ihnen seinen Namen als »Mit telnamen « zu geben, der dann dem Namen der Mutter vorausging. In einem solchen Falle war er verpflichtet, sein Testament zu ihren
     Gunsten zu machen. Jedoch trug diese halbe Adoption dem Adoptierenden keinerlei Rechte ein. Diese Adoption konnte im übrigen
     nur auf schriftlichen Antrag der Mutter erfolgen,

Weitere Kostenlose Bücher