Die geschützten Männer
unvorbereitet getroffen. Und sie haben
sich insgesamt erstaunlich angepaßt.
Ohne Beschönigung nennt mir Anita jedoch einige Unzulänglichkeiten. In der Produktion sind die Frauen wesentlich |42| schneller als die Männer, doch ergreifen sie weniger Initiativen, und auf anspruchsvolleren Ebenen sind sie weniger perfektioniert.
Sie neigen auch dazu, weniger auf Pünktlichkeit zu achten und häufiger zu fehlen.
Aber nach Meinung Anitas sind diese Schwächen – ich zitiere – »auf die historische Sabotage des Lebens der Frauen durch die
familiäre Versklavung« zurückzuführen. Sobald sie von dieser Bürde befreit sein werden, wird dieser Mißstand verschwinden.
Wenn die Frauen hingegen leitende Posten einnehmen oder große Unternehmen erben, sind sie weniger empfindsam und neigen weniger
als die Männer dazu, sich entmutigen zu lassen, sagt sie. Die schweren finanziellen Verluste, die so viele Männer bei Ausbruch
der Epidemie zum Selbstmord trieben, hatten auf sie eine bei weitem nicht so verheerende Wirkung. Da sie nicht so prestigebesessen
wie ihre Männer sind, leiden sie weniger unter Mißerfolgen, insbesondere finanziellen, und sie werden des Lebens nicht so
schnell überdrüssig.
Das Massensterben der Männer wirkt sich auf wissenschaftlichem Gebiet am nachhaltigsten aus. Nicht ohne Erfolg hat man hier
an die emeritierten Kapazitäten appelliert, denen die neue Verantwortung, die sie aus der Melancholie und dem Ruhestand reißt,
Schwung und Kraft wiederzugeben scheint. Und vor allem ist eine neue Kaste auf der Bildfläche erschienen, die von Tag zu Tag
größere Bedeutung im Wirtschaftsleben erlangt.
In wenigen Worten erzählte mir Anita diese Geschichte.
Fast zum gleichen Zeitpunkt, als ich in Blueville in Quarantäne und von jeder Information abgeschnitten war, hatte ein Laien-
und Wanderprediger in den Vereinigten Staaten von Stadt zu Stadt einen überwältigenden Erfolg davongetragen. Er hieß Jonathan
Bladderstir. Das Thema, das fast alle seine Predigten beherrschte und bei dem ihm sein eindrucksvolles Äußere und seine schauspielerische
Begabung zugute kamen, war eingängig: Da der (wenn auch unerklärte) Zusammenhang zwischen Spermatogenese und Enzephalitis
16 erwiesen war, bot sich jedem Christen die Offenbarung in strahlendstem Lichte dar. Indem der Herr die Männer züchtigte,
wollte er sie für den Mißbrauch ihrer sexuellen Potenz strafen. Diese hätte bestenfalls |43| zum Zwecke der Fortpflanzung genutzt werden dürfen. Leider war alles ganz anders gewesen. Getrieben von dem egoistischen Drang
nach Lustbefriedigung, hatten die Männer ihre Frauen häufig zu Liebesdiensten gezwungen, bisweilen – und er bedauerte, das
aussprechen zu müssen – sogar täglich.
Bladderstir war ein auffallend schöner Mann in den Vierzigern, und wenn er diese Exzesse beschrieb – was er, um sie hassenswert
zu machen, in allen Einzelheiten tat –, wurden die Zuhörer von seinen wunderbaren, schwarzen Augen und seiner warmen Stimme
mitgerissen. Kurzum, so schlußfolgerte Bladderstir, die Enzephalitis 16, die eine Strafe insbesondere für die Sünde des Fleisches
war, zeigte den Männern gleichzeitig den Weg, den sie befolgen müßten, um Vergebung zu erlangen. Er selbst hatte aus den Tatsachen
die alles überstrahlende Lehre gezogen und forderte seine Brüder in Christo auf, es ihm gleichzutun. In Übereinkunft mit einer
weiterhin zärtlich geliebten Gattin (hier trat Mrs. Bladderstir, eine rundliche, sexy Blondine, auf die Bühne und faßte ihren
Mann mit einem hinreißenden Lächeln bei der Hand) hatte er beschlossen, sich in Zukunft jeglicher fleischlicher Beziehungen
zu enthalten und mit ihr in reiner Zuneigung wie Bruder und Schwester zu leben. (Frenetischer Beifall, gefolgt von religiösen
Liedern.)
Bladderstir verkündete lautstark, daß die Enthaltsamkeit, abgesehen von ihrem religiösen Wert, letztendlich die beste Prophylaxe
gegen die Enzephalitis 16 darstelle. Obwohl diese Sicht der Dinge nichts Wissenschaftliches an sich hatte, denn die Spermatogenese
hört auch bei Enthaltsamkeit nicht auf (und es ist nicht einmal erwiesen, daß sie sich im Laufe der Jahre bei den keuschen
Priestern verlangsamt, auch wenn das damit einhergehende Begehren schließlich erlischt), enthielt die vorgeschlagene Askese
einen Ruf zur Bekehrung, der seinen Eindruck auf eine christlich geschulte Zuhörerschaft nicht verfehlte. In der Tat, eine
große
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