Die geschützten Männer
bemühten sich die Enthaltsamen, das Massensterben, das ihre Reihen lichtete, zu ihren Gunsten auszulegen, indem sie schlußfolgerten,
der Herr habe die Seinen erkannt und zu sich gerufen, um ihre Enthaltsamkeit zu belohnen. Die Ablationisten wiesen darauf
hin, daß er auch die Wollüstigen und Ausschweifenden zu sich rief. Was sie selbst betreffe, hätten sie, ohne im geringsten
die Enthaltsamen verachten zu wollen, augenscheinlich einen Schritt über das Opfer hinaus getan. Wie einst Abraham, und in
gewissem Sinne besser als er, hätten sie mehr als Fleisch von ihrem Fleische geopfert: die Möglichkeit der Vaterschaft.
Die Ablationisten hätten sich diesen Vergleich sparen können: auf dem gesamten Territorium der Vereinigten Staaten |46| wurde die Liste der Beitritte von Tag zu Tag länger, und mangels Chirurgen mußten viele Anwärter zurückstehen. Der Tod hatte
auch die Ärzte nicht verschont, und da die Zahl der Chirurgen klein war, erhöhten sich die Operationskosten ständig. Schließlich
wurden für die Ablation unerschwingliche und kaum geringere Preise für einen einfachen Eingriff gefordert. Das Wochenblatt
der Ablationisten protestierte gegen diese Ausbeutung und fragte in einer seiner Nummern aufgebracht, ob die Kastration zu
einem Luxus der Reichen werden solle. In bestimmten Staaten wurden Maßnahmen getroffen, um die Preise stabil zu halten. Einziger
Erfolg war: einerseits ein Schwarzmarkt erster Klasse für Kastration, anderseits billige Hinterzimmer, wo die von unqualifizierten
Pfuschern ausgeführte Operation ziemlich oft tödlich verlief.
Hier muß vermerkt werden, daß die von religiösem Geist durchdrungenen Ablationisten zumindest anfangs die chemische Kastration
verabscheuten, weil sie ihnen nicht weihevoll genug erschien. Doch der Ärztemangel machte schließlich die Verwendung sterilisierender
Medikamente unumgänglich. Zuerst verwendeten die Anwärter ein Antiandrogen, das Kyproteroazetat, aber die Nachfrage war so
groß, daß das in Form von 50-Milligramm-Tabletten verkaufte Medikament, welches einen Monat lang morgens und abends einzunehmen
war, vom Markt verschwand. Danach entdeckte, besser gesagt, wiederentdeckte man ein Präparat, das ebenfalls oral verabreicht
wurde und genauso wie das Kyproteroazetat wirkte, nur wesentlich schneller.
Darüber brauchte Anita mir nichts zu sagen. Ich kannte dieses Medikament, obwohl es damals in den Vereinigten Staaten nicht
gehandelt wurde. Ich hatte darüber ausführlich in einem Buch über die Naziärzte in den Konzentrationslagern des Zweiten Weltkrieges
geschrieben. Zu einem bestimmten Zeitpunkt hatten diese Ärzte, wenn man diese Ungeheuer so nennen kann, erwogen, das Präparat
zu importieren und in großem Umfang einzusetzen, um die Männer jüdischer Rasse unfruchtbar zu machen, die Hitler aus ganz
Europa zusammengetrieben hatte und in seinen Lagern gefangenhielt. Sie hatten dann von diesem Vorhaben Abstand genommen, weil
der Rohstoff in beträchtlichen Mengen aus Lateinamerika hätte eingeführt werden müssen; die Frachtschiffe der Deutschen hätten |47| damals (1941) den Atlantik nicht ohne enormes Risiko überqueren können.
Dieser Rohstoff, das
Caladium seguinum
, ist eine grasartige Pflanze mit Knollenwurzeln aus der Familie der Arazeen. Sie kommt in Brasilien wild vor und wächst an
feuchten und morastigen Stellen oder in sehr schattigen Wäldern. Aber man hätte sie selbstverständlich intensiv anbauen müssen,
um sie in dem von den Nazis geplanten Ausmaß verwenden zu können, denn sie hatten weder an der Wurzel noch an der Frucht der
Pflanze Interesse, sondern an einem aus dem Saft gezogenen Extrakt.
Sicher kannten die Ureinwohner Lateinamerikas die Wirkung dieses anfangs mit primitiven Mitteln gewonnenen Extraktes seit
undenklichen Zeiten. Nach einer mündlichen Überlieferung der Indianer Äquatorialamerikas bedienten sich ihre Vorfahren dieses
Extraktes, um die gefangenen Feinde impotent zu machen und sie in fügsame Sklaven zu verwandeln. Diesen Unglücklichen wurde
das
Caladium seguinum
jedoch nicht gewaltlos verabreicht; der Extrakt, zumindest der von den Ablationisten in den Vereinigten Staaten gehandelte,
ist nämlich eine schleimige, grünliche Flüssigkeit, deren Geruch und Geschmack wenig verlockend sind. Aber die Wirkung ist
sicher und schnell, ohne daß sich das Äußere der Organe im geringsten verändert. Das
Caladium seguinum
wirkt innerlich. Die Hoden, die
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