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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Bedford hat es in diesem Punkt besser als ihre Vorgänger verstanden, das
     Ganze zu vertuschen. Nicht weniger erstaunt nimmt man das geringe Interesse zur Kenntnis, das die Massenmedien der Epidemie
     entgegenbringen. Ich fürchte, und Stien ist auch meiner Meinung, daß letzten Endes eine gewisse Gewöhnung eingetreten ist.
     Sicher, man gewöhnt sich an alles, daran, daß jahrelang Tonnen von Müll in die Flüsse und in die Weltmeere geschüttet werden
     und daß die Leute um einen herum wie die Fliegen sterben. Dennoch, diese Männer, die da sterben, haben Verlobte, Mütter, Frauen.
     Wie kommt es, daß die öffentliche Meinung an solchem Massensterben keinen Anteil zu nehmen scheint?
    Denn es ist ein Massensterben, daran ist nicht zu zweifeln. Man hat uns zwar die ausschlaggebenden Informationsmittel genommen,
     aber das Telefon ist verfügbar, vorausgesetzt, daß man über die Zentrale von Blueville geht und das Abhören in Kauf nimmt
     (man hört sogar das leise Klicken des Tonbandgerätes, das angeschaltet wird). Anfangs habe ich davon Gebrauch gemacht, doch
     die Stimmen meiner Freunde verstummen eine nach der anderen. Ich wage es nicht mehr, die Verbliebenen anzurufen. Ich ziehe
     das Nichtwissen vor.
    Laut Anita sind allein hier in den Vereinigten Staaten Millionen gestorben. Doch nennt Anita selbst keine Zahlen, obwohl sie
     diese kennen müßte. Woraus ich schließe, daß sie weiter ansteigen. Ich bin also durch zwei dicke Ketten an Blueville gefesselt:
     einmal ist es die Dringlichkeit einer Aufgabe, die die Epidemie eindämmen kann, wenn ich ans Ziel gelange; und dann ist es
     die Vorstellung, daß ich nach einer Ausweisung aus Blueville meine ärztliche Praxis wieder aufnehmen müßte und dabei wie Morley
     und so viele meiner Kollegen den Tod finden würde. In Wahrheit stoßen mich die moralischen Bedingungen, unter denen wir in
     Blueville leben, derartig ab, daß ich bereit wäre, dieses furchtbare Risiko auf mich zu nehmen. Doch da ist Dave. Ich bin
     fast sicher, daß Anita sich im Falle meines Todes trotz des Versprechens, das ich ihr entriß, nicht um ihn kümmern würde.
     Sie würde es gar nicht können, selbst wenn sie wollte. Und Dave fiele in die Hände meiner ehemaligen Schwiegermutter Mildred
     Miller.
    Bevor ich nach Blueville kam, wußte ich nicht, wieviel ich |41| auf meine Manneswürde hielt. Sicher paßte es mir nicht immer, wie die Männer auf meine äußere Erscheinung reagierten. Aber
     ich fühlte mich durch das Bewußtsein entschädigt, gerade deshalb den Frauen zu gefallen. Und vor allem im Krankenhaus, meiner
     eigentlichen Wirkungsstätte, war ich von allgemeiner Achtung umgeben. In Blueville sind meine materiellen Bedingungen zufriedenstellend,
     zahllose Anzeichen lassen mich jedoch spüren, daß ich als menschliches Wesen nur noch einen untergeordneten Status besitze.
    Wenn ich mich in meiner sozialen Existenz reduziert fühle, was soll ich dann erst von Anitas Siegerpose halten? Bei ihren
     Besuchen erscheint sie mir strahlend, selbstsicher, stolz auf ihre hohen Funktionen, stolz auch auf die Bemühungen der Frauen,
     die Aktivitäten der Männer zu übernehmen.
    Sie erläutert mir, daß die Lage in ökonomischer Hinsicht schwierig, aber nicht so katastrophal ist, wie man befürchten könnte.
     In den großen Firmen hat der Tod eines großen Teils der Verwaltungsangestellten keine fühlbaren Auswirkungen gehabt. Er hat
     im Gegenteil zu einer Vereinfachung der Bürokratie geführt. Die Produktion geriet am Anfang infolge der Dezimierung der Arbeiter
     ins Stocken. Man hat es so gut wie möglich verschleiert: in erster Linie mit Frauen, aber auch mit massiven Importen männlicher
     Arbeitskräfte, »die in dem Maße erneuert werden, wie sie dahinsterben« (sic).
    Trotzdem ist die Produktion zurückgegangen. Aber weil durch den Tod einer großen Anzahl Männer viele Witwen ohne Hilfsquellen
     zurückgeblieben sind, ist auch der Konsum steil gesunken; alles in allem ist das Gleichgewicht wiederhergestellt.
    Ich habe Anita gefragt, welche Auswirkungen der massive Eintritt der Frauen ins Wirtschaftsleben des Landes hatte. Sie sah
     es von verschiedenen Seiten. Zuerst wies sie darauf hin, daß es vor der Epidemie in den Vereinigten Staaten auf allen Gebieten
     weitaus mehr Arbeiterinnen gegeben hatte, als sie annahm. Und vor allem hatten viele von ihnen Aufgaben zu erfüllen, die weit
     unter ihren tatsächlichen Fähigkeiten lagen. Ihr schneller Aufstieg hat sie also nicht

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