Die geschützten Männer
zwei der Frauen hätten mehr als die geringen Kenntnisse verdient, auf die sie
sich in unserer frauenfeindlichen Zivilisation beschränken mußten. Andererseits kann ich nicht den männerfeindlichen Rassismus
billigen, dem ich unterworfen bin. Daraus erwächst eine unerträgliche Situation. Ich komme mir wie ein farbiger Leutnant vor,
der eine Abteilung weißer Soldaten befehligt. Man gehorcht mir und verachtet mich.
Ein Labor ist vor allem ein Team, und damit das Team vorankommt und alles wie am Schnürchen läuft, bedarf es unter seinen
Mitgliedern eines Minimums an menschlicher Wärme. Das ist nicht gegeben. Unter diesen Bedingungen bin ich selbst kein guter
Chef und kann es gar nicht sein. Der Grund dafür liegt auf der Hand.
Unter meinen Mitarbeitern ist Grabel der brillanteste, ideenreichste und schöpferischste. Er ist ein kräftiger Mann, der auf
die Sechzig zugeht. Er ist groß, schlank, hält sich sehr gerade und ist doch beweglich, er hat einen kahlen, länglichen Mathematikerschädel,
stechende, schwarze, kleine Augen, die ständig auf der Lauer liegen, eine lange, spitze und gerade Nase, schmale Lippen und
ein vorspringendes Kinn. Das ganze Gesicht ist lang und schmal wie die Klinge eines Messers.
Unter normalen Bedingungen müßte Dr. Grabel auf Grund seiner Erfahrung, seiner Intelligenz und seiner Fähigkeiten mein engster
Mitarbeiter sein und seinen Platz weit vor Pierce und Smith haben, die wohl gute Wissenschaftler sind, aber nicht gerade –
um es freundlich auszudrücken – vor Ideen strotzen. Nach meiner Ankunft in Blueville hatte ich in der Tat die Absicht, Grabel
aus diesen Gründen zu befördern, doch habe ich mich dazu nicht sofort entschließen können und tat gut daran.
|93| Grabel ist ein A. Nebenbei gesagt, die Legende, ein Kastrat setze zwangsläufig Fett an, trifft für Menschen ebensowenig zu
wie für Pferde. Auch eine zweite Legende möchte ich zerstören: die Passivität des Kastraten. Grabel bleibt eine aggressive
Person, obwohl bei ihm die Spermatogenese für immer aufgehört hat. Außerdem ist er als A von seinen Kastenprivilegien ganz
und gar erfüllt. Er heftet sein Abzeichen mit dem vergoldeten Buchstaben sogar an seinen weißen Kittel und läßt mich durch
zahllose Kleinigkeiten die Unterlegenheit meines Status spüren. Ich habe auch die Gewißheit erlangt, daß er mir nachspioniert.
Ich habe ihm deshalb ein abgegrenztes, subalternes Spezialgebiet zugewiesen und versuche, eine undurchlässige Wand zwischen
ihm und dem wirklichen Stand meiner Forschungen aufzurichten. Von Pierce und Smith verlange ich die gleiche Geheimhaltung.
Wenn ich mein Arbeitszimmer verlasse, drehe ich den Schlüssel zweimal herum und ziehe ihn ab. Seit kurzem nehme ich abends
sogar das kleine Heft mit nach Hause, in das ich tagtäglich in Geheimschrift die Fortschritte unserer Arbeit – falls es welche
gibt – eintrage.
Solches Mißtrauen, solche Spannungen und solche Heimlichtuerei sind der Arbeit eines Labors verständlicherweise sehr abträglich.
Es ist schade, daß ich eine so hervorstechende Intelligenz, wie Grabel sie besitzt, nicht für eine schöpferische Aufgabe verwenden
kann. Noch betrüblicher ist, daß ich mit meinen Mitarbeitern nicht offen über die Probleme diskutieren kann, vor die wir gestellt
sind. Die Teilung des Personals in drei Kasten und die skandalöse Inferiorität meines Status haben mich zu einem schlechten
Chef gemacht: hart, ungerecht, autoritär, verschlossen. Genau das Gegenteil von dem, was ich sonst bin und was ich bislang
auch in den Projekten, die ich leitete, war.
Innerhalb des Labors erscheint auf den ersten Blick alles normal. Wir sprechen höflich miteinander, meine Anweisungen werden
ausgeführt, die Arbeit wird gemacht, zumindest hat es den Anschein, daß sie gemacht wird. Auf beiden Seiten aber zerfrißt
ein dumpfer, böser Wille wie ein Wurm die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben.
Grabel, der dank seiner Begabung und seiner starken Persönlichkeit großen Einfluß auf die A.s ausübt und sogar auf die Frauen,
die darüber ihre Privilegien vergessen und ihn wie einen |94| Gleichgestellten behandeln, haßt mich. Infolgedessen sind wir beide in das üble Räderwerk der Feindseligkeit hineingeraten.
Erste Phase: Er verachtet mich und bespitzelt mich. Zweite Phase: Ich mißtraue ihm und halte ihn in einer untergeordneten
Stellung. Dritte Phase: Ich erlange Gewißheit, daß er Berichte über mich
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