Die geschützten Männer
bitte Sie, dieses Gespräch zu beenden!«
Wir wenden die Pferde und reiten wieder voraus. Ich bin in Hochstimmung, weil ich glaube, einen Sieg davongetragen zu haben,
aber sie hält nicht vor, Stien erstickt sie im Keim. Er macht Jess ein Zeichen, daß er singen soll, und ich muß eine Flut
von Vorwürfen über mich ergehen lassen, die leise, zischend, in einem zunehmend deutsch gefärbten Englisch artikuliert werden.
»Ralph, ich will kein Blatt vor den Mund nehmen. Du bist genauso verrückt, leichtsinnig und verantwortungslos wie Jess, und
das ist noch geschmeichelt. Was geht zwischen dir und diesem Mädchen vor? Unter dem Vorwand, sie abzukanzeln, scharwenzelst
du um sie herum! Und dieses dumme Ding steigt darauf ein! Ihr könnt euch unterhalten, soviel ihr wollt. Aber laß diesen Zirkus!
Was bringt das ein? Nur Ärger, für uns alle. Denk an Dave, wenn du schon nicht an uns denkst! Für mich ist klar: Wenn du das
nicht läßt, wenn ich noch einmal sehe, daß du diesem Mädchen einen Blick zuwirfst, ist es für mich vorbei mit den Ausflügen,
die müßt ihr dann alleine machen!«
»Du mißbrauchst dein Alter, Stien«, sage ich wütend. »Es gibt dir kein Recht über mich. Ich brauche keinen Papa, der mir sagt,
was ich zu tun habe.«
Stien schweigt, Jess hört auf zu singen. Und mich setzt mein eigener Wutausbruch in Erstaunen, und er beunruhigt mich auch.
Diese Reaktion hat meiner Ansicht nach etwas Unnormales, Anzeichen einer Neurose oder des Beginns einer Neurose. Oh, ich weiß,
die Spannungen mit Dave, mein sozialer Abstieg, meine unfreiwillige Enthaltsamkeit, Anitas Schweigen. Gut. Ich glaube nicht,
wenigstens in meinem Falle nicht, |91| an die Wirksamkeit der Psychoanalyse. Dagegen glaube ich an die Verhaltenstherapie. Ich glaube, daß ich durch Korrektur meiner
Lebensweise in gewissem Maße die Frustrationen mildern kann, unter denen ich leide.
Durch eine Geste bedeute ich Jess, unser Gespräch erneut zu übertönen. Diesmal singt er nicht, sondern rezitiert
The Road Not Taken
von Robert Frost, was in den Augen oder vielmehr Ohren der Kosakengarde als perfide Ironie ausgelegt werden kann.
Ich wende mich an Stien und habe meine Stimme völlig in der Gewalt.
»Es war mir nicht so recht bewußt, daß ich um dieses Mädchen herumscharwenzelte. Aber du hast recht. Das ist idiotisch. Ich
will damit aufhören.«
Stien zieht die Brauen hoch, und aus seinen faltigen Lidern schießt ein durchdringender Blick zu mir herüber. Er sagt nichts,
kein einziges Wort, doch ich weiß genau, was er denkt: netter Junge, den seine Frau verlassen hat und so weiter. Ich verberge
meine Verwirrung, beuge mich vor, klopfe Schuschka auf die Schulter, ergreife dann die Zügel und sage: »Los, Schuschka, Galopp!«
Meine Stiefel streifen ihre Flanken, sie löst sich vom Boden und ich mit ihr, miteinander streben wir einem unendlich fernen
Horizont entgegen. Solange ich ihre Bewegungen spüre und mir der Wind um die Ohren pfeift, fühle ich mich frei.
Einen Tag später erhalte ich von Anita einen sehr kurzen Brief. Sie wird nächsten Sonnabend kommen, und diesmal ist es sicher.
Ich glaube kein Wort. Wütend knülle ich den Zettel zusammen und stopfe ihn in meine Tasche. Dann fällt mir meine Therapie
ein; ich ziehe den Brief sehr langsam wieder hervor, glätte ihn, falte ihn und lege ihn bedächtig in meine Brieftasche. Aber
es hilft absolut nicht. Mir ist die Kehle wie zugeschnürt, ich habe feuchte Hände, meine Knie zittern: ich weiß, Anita wird
nicht kommen. Und vor mir liegt eine unendlich lange Woche, in der ich auf die Absage warte.
Seit sechs Monaten trete ich mit meinen Forschungen auf der Stelle, und ich möchte zurückblenden, um den Grund zu erklären.
Ausgangsmaterial haben wir wohl in Hülle und Fülle, wir bekommen Gehirnzellen nach Bedarf, es fehlt uns im Laboratorium |92| nicht an Versuchstieren, die Ausrüstung ist perfekt. Der wunde Punkt ist das Personal. Nicht daß es ihm an Kompetenz oder
Gewissenhaftigkeit fehlte, auch zahlenmäßig ist es ausreichend. Doch wir sind voneinander isoliert, und das Personal selbst
ist durch Kastenprobleme gespalten. In meinem Labor arbeiten drei PMs: Pierce, Smith und ich, ferner ein Dutzend A.s und fünf
Frauen. Im Arbeitsprozeß nehmen die Frauen die unterste Stelle in. Sozial gesehen, haben sie aber in Blueville ihren Platz
ganz oben – vor den A.s und auch vor mir.
Das ist in beiden Fällen ungerecht. Wenigstens
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