Die geschützten Männer
äußerst schlechten Situation, daß Ihren Forschungen bislang nur ein sehr geringer Erfolg beschieden war.
Hilda Helsingforth
Dieser Brief wurde mir beim Abendbrot in der Cafeteria übergeben; ich öffnete ihn erst, als Dave im Bett war. Ich hatte das
Gefühl, ohnmächtig zu werden. Ich mußte mich setzen. Meine Beine zitterten, und ich schämte mich dessen. Einen Augenblick
später gelang es mir, aufzustehen, ich ging in die Küche und spülte ein volles Glas Whisky hinunter. Da ich seit meiner Ankunft
in Blueville nur sehr wenig trank, gab mir dieser viele Alkohol den Rest, anstatt mich zu beleben. Ich blieb in düsterer Erstarrung
sitzen und versuchte vergeblich, meine Gedanken zu sammeln. Da überkam mich wieder das Gefühl, überhaupt nichts mehr zu verstehen
und gnadenlos ausgeliefert zu sein, ein Gefühl, das Blueville mir immer eingeflößt hatte. Diesmal aber bemächtigte sich meiner
nicht nur vage Angst, mich packte wirkliche Panik. Der Brief von Hilda Helsingforth konnte nur bedeuten, daß ich in den kommenden
Wochen auf meine Entlassung gefaßt sein mußte. Ich war also zum Tode verurteilt. Dave ebenfalls, nur zu einem etwas späteren
Zeitpunkt.
Plötzlich fühlte ich Übelkeit in mir aufsteigen, die mir einen Vorgeschmack der Agonie vermittelte. Ich hatte gerade noch
Zeit, zum WC zu rennen. Ich gab alles von mir, den Whisky und das Essen. Als das vorbei war, sah ich im Spiegel mein Gesicht.
Es war nicht einmal Blässe. Meine Haut war von einem Blau, das ins Grünliche ging. In diesem Augenblick begriff ich, was »leichenblaß
werden« heißt, und ich begann seltsamerweise zu lachen.
|97| Von diesem Moment an fühlte ich mich besser.
Bevor ich mich hinlegte, nahm ich eine starke Dosis von einem Beruhigungsmittel und schlief danach wie tot. Als ich morgens
aufwachte, wurde mir klar, daß ich in den kommenden Tagen nicht mit dem Entsetzen leben könnte, das mich am Abend überfallen
hatte. Diese Situation war irrsinnig, und wenn ich mich darein schickte, würde ich mein seelisches Gleichgewicht verlieren.
Ich beschloß zu kündigen. Es war eine Sache von Sekunden.
Gewiß lieferte ich mich selbst dem Tode aus, aber lieber wollte ich ihm aus eigenem Antrieb entgegengehen, anstatt ihm unmerklich
in die Arme getrieben zu werden. Erst als mein Entschluß feststand und ich alle Hoffnung in mir getötet hatte, kehrte mein
Mut zurück.
Ich setzte sofort mein Kündigungsschreiben auf und übergab es Mr. Barrow nach dem Frühstück. Leider öffnete er es nicht in
meiner Gegenwart. Ich hätte gerne seine Reaktion gesehen. Was mir dann in den Sinn kam, konnte ich kaum schnell genug ausführen.
Ich lief in mein Labor, bestellte Dr. Grabel zu mir, schloß mich mit ihm in meinem Büro ein und ließ rückhaltlos dem herrlichsten
Zorn meines Lebens freien Lauf. Eine halbe Stunde lang bombardierte ich Grabel mit meinen Vorwürfen, die fast in Beschimpfung
ausarteten. Er versuchte wohl, zu Wort zu kommen, und gab mir zu verstehen, daß diese Szene mich meine Stellung kosten werde.
Aber ich unterbrach ihn kurzerhand, teilte ihm triumphierend meine Kündigung mit und überschüttete ihn erneut mit meinen Vorhaltungen,
ohne ihm Gelegenheit zu geben, ein Wort einzuwerfen. Er sah mich blaß und stumm an, und ich konnte in seinen Augen eine Art
Sympathie und sogar Achtung für mich lesen. Das setzte mich wirklich in Erstaunen, weil ich derlei nicht im Traum erwartet
hätte.
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|98| FÜNFTES KAPITEL
Die Antwort von Hilda Helsingforth erhielt ich am 3. April.
Dr. Martinelli,
der Vertrag, den Sie unterschrieben haben, bindet Sie für zwei Jahre an den Helsingforth-Konzern. Er räumt zwar der Firma
das Recht ein, Sie jederzeit zu entlassen, nicht aber Ihnen das Recht auf Kündigung – es sei denn, Sie verzichten zugunsten
der Firma auf Ihre monatlichen Bezüge, die unsere Buchhaltung für Sie auf einem Sperrkonto führt.
Hilda Helsingforth
Ich stieß fast einen Freudenschrei aus, als ich das las: Meine Kündigung war zurückgewiesen und Hilda Helsingforth von ihrem
Piedestal herabgestiegen. Ich hatte keinen allmächtigen sadistischen Gott mehr vor mir, sondern einen raffgierigen Unternehmer,
der von Verträgen und Geldangelegenheiten sprach.
Ich begriff meinen Vorteil und nutzte ihn auf der Stelle. Am 4. April schrieb ich an Mr. Barrow folgenden Brief:
Lieber Mr. Barrow,
Mrs. Helsingforth hat recht. Die unbefriedigenden Ergebnisse, die in
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