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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Mutlosigkeit durchgemacht. Außerdem
     reden Sie viel weniger und haben fast aufgehört, sich wegen Dave herumzuquälen.«
    »Vielleicht habe ich an eine andere Frau gedacht.«
    Mehrere Möwenschreie.
    »Aber das haben Sie doch auch, Ralph! Versuchen Sie nicht, mich hinters Licht zu führen, Sie verdammter Heuchler, Sie! Aber
     die anderen Frauen kommen Ihnen unerreichbar vor, deshalb haben Sie sie in Ihre Träume verbannt …«
    Ich schweige. Sie hat das mit Pussy also Gott weiß wie erraten, denn ich zweifle nicht eine Sekunde lang, daß Stien … nein,
     so etwas macht er nicht.
    |103| Ihre Gabe, einen zu durchschauen, verwirrt mich, und noch bevor mir zu Bewußtsein kommt, daß ich mich wie ein Eingeborener
     benehme, der seinen Zauberer um Rat bittet, frage ich sie:
    »Joan, glauben Sie, daß Anita kommen wird?«
    Sie hat aufgehört zu lachen und sieht mich voll Güte mit ihren durchdringenden Augen an.
    »Sehr wahrscheinlich. Aber Sie dürfen es ihr nicht übelnehmen, wenn sie ihr Versprechen zwei- oder dreimal nicht gehalten
     hat. Auch nicht, daß sie Sie immer seltener besucht. Nein, Ralph, machen Sie nicht so ein Gesicht. Anita kann nicht machen,
     was sie will. Und vor allem, sie hat einen Weg eingeschlagen, auf dem Sie ihr nicht folgen können. Sie hat angestrengt gearbeitet,
     sich ungeheuer viel Mühe gegeben und hat jetzt eine sehr große Karriere vor sich. Die wird sie Ihretwegen nicht sausen lassen.«
    »Also wird sie mich sausen lassen«, sagte ich entmutigt.
    »Nicht völlig. Sie bleiben hier in Blueville, an Blueville gekettet wie die Frau an den häuslichen Herd. Und Anita ist der
     große Mann, hin und her getrieben, vom Strudel der Staatsangelegenheiten mitgerissen. Anita denkt an Sie. Aber sie ist nicht
     hier.«
    »Glauben Sie nicht, daß sie öfter kommen würde, wenn sie mich mehr liebte?«
    Wieder der Möwenschrei.
    »Das, Ralph, ist eine Überlegung, die ich als weibisch bezeichnen würde! Anita hat ihr Leben aufgeteilt. Wie ein Mann: zwei
     Schubladen. In der größeren ihre Karriere. In der anderen Sie.«
    »Reizend.«
    »Ach, seien Sie ehrlich, Ralph! Sie sind doch gar nicht so wahnsinnig in Anita verliebt. Ihnen spuken alle möglichen anderen
     Träume von anderen Personen im Kopf herum …«
    Ich werde mir an dieser Stelle wieder meiner widersprüchlichen Empfindungen für Joan bewußt. Ich bewundere sie und fühle mich
     von ihr herausgefordert. Sie sieht alles, sie weiß alles, und sie ruft es einem weiß Gott ständig in Erinnerung! Es kümmert
     sie wenig, ob sie jemand auf die Füße tritt, Geheimnisse verletzt oder Schamgefühle beleidigt.
    Ich schweige abweisend, doch mein Hochmut läßt sie kalt. Sie amüsiert sich darüber. Sie ist sich der Zuneigung, die sie mir
     entgegenbringt und die ich erwidere, sicher. Und im Bewußtsein |104| dieser Überlegenheit schießt sie auf ihr Ziel los. Diese Frau ist eine Draufgängerin. Sie macht mich erschauern und beunruhigt
     mich. Wenn das so weitergeht, werde ich nicht einmal einen Bruchteil meiner Empfindungen für mich behalten können.
    Sie lacht.
    »Ich möchte Sie daran erinnern, daß Anita großen Gefallen an Ihnen findet.«
    Kurzes und schrilles Lachen. Ein ganzer Möwenschwarm, der davonfliegt.
    »Was ich im übrigen verstehe«, sagt sie und begutachtet mich mit dem Schnabel und ihren stechenden Augen. »Sie sind ein hübscher
     Junge, in verkleinerter Ausführung, Ralph. Setzen Sie nicht so eine verschreckte Miene auf, ich bitte Sie! Ich bin keineswegs
     im Begriff, Ihnen einen Antrag zu machen! Was sollten Sie denn auch mit einem Gerippe wie mir anfangen! Ausgerechnet Sie,
     dem mollige Frauen gefallen. (Woher weiß sie das?) Und Sie wissen ja auch, daß Sinnlichkeit nicht meine Stärke ist. Nein,
     nein! (Sie lacht.) Armer Reginald! (Reginald ist ihr Mann.) Ich genieße vor allem mit den Augen, Ralph.«
    Mich verwirrt die Selbstverständlichkeit, mit der Joan Pierce über Tabus spricht. Und ich begreife ihren außergewöhnlichen
     gesellschaftlichen Erfolg in Bluevielle. Sie geht drauflos, sie sagt alles mögliche, sie hat keine Komplexe. Und die Tatsache,
     daß sie keine hat, kann bewirken, daß man sich selbst davon befreit. Als ich jünger war, machte mir zum Beispiel mein kleiner
     Wuchs sehr zu schaffen. Und ich bewundere, wie Joan darauf anspielt, ohne mich zu kränken, daß sie sogar darüber witzelt (»meine
     verkleinerte Ausführung!«), und der Witz, in ein Kompliment verpackt, bei mir ankommt. Mehr oder weniger

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