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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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gut natürlich. Ein
     kleiner Pfeil, der sich in die Haut bohrt, läßt immer eine Narbe zurück, auch wenn man es im Augenblick wenig spürt. Ich fühle,
     daß ich es Joan nachtragen werde.
    Obendrein bin ich noch der Verlegene, und um es zu verbergen, sage ich: »Was haben Sie gesehen, Joan, als ich hereinkam?«
    »Faszinierende Dinge«, sagt sie kurz auflachend. »Wußten Sie, Ralph, daß die Homosexualität unserer Milizionärinnen alle Merkmale
     einer Institution angenommen hat?«
    »Ich habe es vermutet.«
    »Und ich bin jetzt dessen sicher. Die armen Milizionärinnen! |105| Aber viel mehr als das interessiert mich die Tatsache, daß sich unter ihnen ein Außenseiter befindet.«
    »Ein Außenseiter?«
    »Aber ja! Die Selektion ist offenbar nicht streng genug gewesen. Dieses Mädchen benutzt ein Spielzeug, das eine gewisse Sehnsucht
     nach der männlichen Anatomie verrät.«
    »Sie meinen ein elektrisches Massagegerät?«
    Mehrere Möwenschreie.
    »Aber nein, kein Massagegerät! Größer, viel größer, vollständiger und raffinierter. Aber ich will es Ihnen jetzt nicht beschreiben.
     Ich hoffe, ich kann es Ihnen eines Tages zeigen. Es ist ganz erstaunlich.«
    Sie erstickt fast vor Lachen. Ich unterbreche sie.
    »Und wer ist diese Milizionärin? Kenne ich sie?«
    »Leider nein, armer Ralph, es ist nicht Pussy. Widersprechen Sie nicht. Ich weiß, Sie haben eine Schwäche für das kleine Mädel,
     seit Sie ihr den Arm eingerenkt haben. Als Sie an jenem Abend auf der Suche nach Dave bei mir vorbeikamen, wirkten Sie wie
     betrunken. Aber mein Gott, was soll an einem Ellbogen so faszinierend sein!«
    Ihre wohlwollenden Falkenaugen forschen in den meinen, und ich lache jetzt auch. Denn neben ihren wunderbaren Eigenschaften
     hat Mrs. Pierce den Vorzug einer fröhlichen Natur. Sie entschärft auf diese Weise alle schwerwiegenden Probleme. In Blueville
     ist das von unschätzbarem Wert.
    Ich sage es ihr, worauf sich ihre Miene sofort verdüstert.
    »Nein, Ralph, Sie täuschen sich. Meine Fröhlichkeit ist Abwehr. Ich bin genauso beunruhigt wie Sie. Mehr noch sogar, weil
     ich so viele Dinge ahne. Und Sie kommen mir recht sorglos vor.«
    »Ich, sorglos?«
    »Oh, ich weiß, Sie machen sich viele Gedanken wegen Dave und auch wegen Anita. Aber glauben Sie mir, Ralph, Sie sollten sich
     etwas weniger mit Ihrem Privatleben beschäftigen und mehr an die Zukunft der PMs in Blueville denken. Es gibt da einiges,
     was mir nicht gefällt. Und auch Dinge, die mir Angst einflößen.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel: haben Sie sich nicht gefreut, als Hilda Helsingforth Ihre Kündigung ablehnte? Nun gut, ich kann Sie verstehen.
     Aber im Grunde heißt das doch, daß Sie ein Gefangener sind. Daß man fest entschlossen ist, Sie physisch daran zu hindern, |106| wegzugehen. Nehmen wir an, Ralph, Sie packen Ihre Koffer und erscheinen morgen mit Dave am Wachtturm – glauben Sie, man würde
     Sie hinauslassen?«
    Ich sehe Joan an, und als sich unsere Blicke begegnen, haben wir beide die eben beschriebene Szene vor Augen, ich sehe sie
     mit ihren klarsichtigen Augen und bin mir völlig sicher, daß die Milizionärinnen mir verbieten würden, das Tor zu passieren.
     Mir wird auch klar, daß ich es immer gewußt habe. Wenn man jedoch so lange in Freiheit gelebt hat, braucht man Lehrzeit für
     die Sklaverei.
    Joan ist jedem einzelnen meiner Gedanken gefolgt.
    »Wissen Sie«, fährt sie fort, »wie Stien Blueville nennt? Ein Konzentrationslager in Luxusausgabe. Und das ist es auch im
     Grunde: gutes Essen, geheizter Swimmingpool, Salons, Ausflüge zu Pferde. Aber auch Stacheldrahtzäune, Maschinengewehre auf
     den Wachttürmen, Ausgangssperre, überall Abhörgeräte, Telefonüberwachung, Briefkontrolle. Nicht zu vergessen: kein Radio,
     kein Fernsehen. Nur hin und wieder ein paar unvollständige Zeitungen. Ralph, meinen Sie, daß ich meine Nase nur zum Vergnügen
     überall hineinstecke? Ich will Bescheid wissen, das ist alles. Bescheid zu wissen ist eine Frage des Überlebens, wenn Sie
     in Einzelhaft gehalten werden.«
    Sie hat mit Feuer und Leidenschaft gesprochen. Und ich entdecke eine Joan, die ich nicht kannte: verantwortungsbewußt, umsichtig.
     Bis dahin bewunderte ich ihre Talente und war von ihrer clownesken, klatschsüchtigen Seite enttäuscht. In Wirklichkeit ist
     diese Frau ein Felsen. Meine Achtung vor ihr steigt auf schwindelerregende Weise.
    »Joan, ich danke Ihnen, daß Sie mir soviel Vertrauen entgegenbringen«, sage

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