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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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ich einen Augenblick später. »Da Sie mir aber
     das alles erzählen, nehme ich an, daß es einen Grund haben muß. Also schießen Sie los!«
    Joan ist eine gute Schauspielerin. Wenn man darauf wartet, daß sie redet, hüllt sie sich in Schweigen. Besser gesagt, sie
     kostet das Schweigen aus. Man hat sofort den Eindruck, als wäre eine kleine rote Lampe aufgeflammt und finge an zu blinken:
     Achtung, ich schweige, was ich jetzt sagen werde, ist wichtig.
    »Kommen Sie zum Ziel, Ralph«, sagt sie schließlich. »Fin den Sie Ihr Serum. Aber schnell, schnell! Sie wissen nicht, wie wichtig das ist.«
    |107| »Ich kann es mir vorstellen«, sage ich, ein wenig pikiert.
    Sie ist nicht aufzuhalten. Sie geht über meinen Groll hinweg, sie holt aus, zerstört meine Umzäunung, trampelt auf meinem
     Gelände herum.
    »Man hat nicht den Eindruck! Noch langsamer könnte es in Ihrem Labor gar nicht vorangehen! Krieg zwischen den Kasten! Sie
     verbringen mehr Zeit mit Auseinandersetzungen als mit Arbeit.«
    Ich bin verletzt und wütend. Sie überschreitet wirklich die Grenzen. Mein Privatleben, geschenkt. Aber sie soll wenigstens
     meine berufliche Tätigkeit aus dem Spiel lassen! Mein Labor geht sie nichts an! Sie soll da nicht herumschnüffeln!
    Ich stecke die Hände in die Hosentaschen, runzle die Brauen und sage lauter als vorher: »Hat Ihnen Reginald diese Information
     über mein Labor geliefert?«
    Ich hätte besser geschwiegen, denn ich liefere ihr damit einen
casus belli
für die Fortsetzung ihrer Invasion.
    »Nein, mein Herr!« sagt sie und stößt einen schrillen, triumphierenden Schrei aus. »Reginald sagt mir kein Wort! Reginald
     ist Dr. Martinelli bedingungslos ergeben! Reginald gehört zu denen, die eher wortlos sterben, als daß sie sprechen!« Sie holt
     tief Luft. »Aber ich weiß Bescheid. Ich weiß – und es spielt keine Rolle, woher –, daß die Frauen und die A.s aus Ihrem Labor
     Sie hassen. Und zu Recht! Und daß Sie diesen Haß erwidern! Bravo! Glänzende Arbeit! Hervorragende Bedingungen für die Forschung!«
    Nachdem alle meine Stellungen überrannt sind, erkenne ich, daß mir nur ein schwacher Gegenangriff bleibt.
    »Sie hätten natürlich die linke Wange hingehalten und aus meinem Labor ein kleines Paradies gemacht.«
    »Aber gewiß, Ralph«, sagt sie mit völlig überlegener Ruhe. »Und genau das muß jetzt auch geschehen. Wenigstens wenn Sie ans
     Ziel kommen wollen. Die Ablehnung Ihrer Kündigung hat Ihnen eine Position der Stärke gegeben. Nutzen Sie das aus, Ralph! Doch
     vorsichtig! Im Sinne der Versöhnung, der Gerechtigkeit …«
    Sie hat recht. Ich war nicht darauf gekommen, mich meiner Position der Stärke zu bedienen, und schon gar nicht, das muß ich
     eingestehen, in diesem Sinne. Geniale Joan! Ihr Scharfblick hat mich entwaffnet, meine Stimme und meine Gedanken versagen; |108| wozu ich noch fähig bin, ist, die traurigen Überreste meiner Eigenliebe zusammenzusuchen und meinen Rückzug einzuleiten.
    Ich lächle schwach, halb gezwungen, halb freundschaftlich, nehme Haltung an und frage: »Herr General, haben Sie noch weitere
     Anweisungen zu erteilen?«
    »Aber ja«, sagt sie in einem überaus sachlichen Ton. »Das alles ist noch gar nichts. Ich will Ihnen etwas Sensationelles zeigen.«
    Das ist der von Anfang an sorgfältig vorbereitete große Auftritt. Sie macht mit ihren langen Stelzen ein paar Schritte und
     holt ihre große schwarze Tasche vom Tisch. Ob sie daraus eine ihrer Puppen hervorholen wird – oder wie ein Zauberkünstler
     ein Kaninchen – oder einen Taubenschwarm?
    Nein. Lediglich eine Zeitschrift, die ihr magerer Arm durch die Luft schwenkt.
    »Das hier ist unbezahlbar, Ralph! Das ist eine Nummer von
New Era
, die man uns vorenthalten hat. Und nicht ohne Grund! Ich habe sie gestern mit einiger Mühe aus Mr. Barrows Papierkorb gerettet.
     Zum Glück habe ich ein scharfes Auge. Trotzdem war es nicht leicht, ich mußte meine Tasche öffnen, mich heranpirschen, mich
     bücken – und bei alledem für den großen Mann, der aufgeplustert kreuz und quer durchs Zemmer ging und mir seinen Lebenslauf
     erzählte, die Maurerkelle schwingen. Hier, lesen Sie, Ralph. Sprechen Sie zu niemandem darüber, und geben Sie mir die Zeitschrift
     zurück.«
    »Aber diese Ausgabe ist vom Donnerstag!«
    »Ja, wie Sie sehen, ist sie erst eine knappe Woche alt. Und vor allem glänzt diese Ausgabe durch einen großen Artikel mit
     der Überschrift
Law and Order
1 . Lesen Sie ihn, dann werden

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