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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Ihnen einige Lichter mehr über die Welt da draußen aufgehen.«
    »Vielen Dank, Joan«, sage ich und versuche, die Zeitschrift so gut wie möglich unter meiner Jacke zu verstecken.
    Ich nicke ihr freundlich zu und bin schon an der Tür, als sie mich zurückruft und ihre stechenden Augen auf mich heftet.
    »Und noch eins, Ralph. Sehen Sie Mrs. Barrow in der Cafeteria nicht so an. Es könnte eines Tages auffallen.«
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New Era
, die ich wie ein Dieb unter meiner Jacke trage, wurde kurz nach dem Amtsantritt der Präsidentin Bedford gegründet und steht
     in dem Ruf, die Ansichten des Weißen Hauses wiederzugeben. Ich warte, bis Dave im Bett ist, schließe die Barackentür ab, ziehe
     in meinem Zimmer die Vorhänge zu und beginne,
Law and Order
zu lesen, ein wenig fiebrig und mit dem angenehmen Gefühl, etwas Verbotenes zu tun.
    Ein langatmiger Artikel, aber von größtem Interesse, zumal er von Deborah Grimm stammt, von der ich bereits den berühmten
     Satz über den Geschlechtsakt zitierte. Es läßt sich nicht verhehlen, ein aus dieser Feder geflossener umfangreicher Artikel
     ist schon ein Leckerbissen. Ich bin keineswegs enttäuscht, meine Erwartungen erfüllen sich.
    Deborah Grimm legte zunächst dar, mit welcher tiefen Sorge sich die Bedford-Administration die Frage nach der Aufrechterhaltung
     der Ordnung stellte, als die Epidemie die Reihen der Polizei zu lichten begann; denn durch den täglichen Kontakt mit der Bevölkerung
     war die Polizei besonders gefährdet. Es wurden zwar unverzüglich weibliche Polizeieinheiten aufgestellt, aber sie waren zahlenmäßig
     klein und hatten wenig Erfahrung. Man war auf ein sprunghaftes Ansteigen der Kriminalität gefaßt, insbesondere der Raubüberfälle,
     die die Straßen der großen amerikanischen Städte genauso unsicher gemacht hatten wie bestimmte Londoner Viertel im Mittelalter.
    Nichts dergleichen geschah. Die Ironie des Schicksals wollte es, daß die Zahl der Raubüberfälle, Vergewaltigungen und Morde
     in dem Maße sank, in dem die Polizeibestände dahinschmolzen. »In ihren Voraussagen« – ich zitiere Deborah Grimm – »hatte die
     Administration einen wichtigen Faktor übersehen, nämlich die Laster, von denen die Unterwelt lebte; Spiel, Rauschgift und
     Prostitution aber waren fast ausschließlich männliche Laster.«
    Die Epidemie versetzte den »rackets«, von denen dieses Treiben ausging, einen tödlichen Schlag; denn während sie die männliche
     Kundschaft allmählich dahinraffte, richtete sie gleichzeitig in den Kreisen der Zuhälter, Rauschgifthändler und Spielhöllenbesitzer
     Verwüstungen an. Der Kreislauf des organisierten Lasters kam zum Erliegen. In New York hatten die Prostituierten, die in der
     Stadt und am Hafen ihr Gewerbe |110| zu Tausenden betrieben, fast von einem Tag zum andern »ihre Kuppler und ihre Kunden« verloren.
    Es gab jedoch »Schatten auf diesem Bild«. Diejenigen Prostituierten, die nicht Opfer, sondern Komplizen des männlichen Lasters
     gewesen waren, versuchten, neue »rackets« auf die Beine zu stellen, was ihnen in einem gewissen Maße auch gelang. Unter den
     Frauen, die »von ihrem Gefährten angesteckt« worden waren, bestand weiterhin eine ziemlich große Nachfrage nach Rauschgift,
     und die Händler versuchten, neue Kanäle zu finden, über die das Rauschgift vom Fernen Osten in die Vereinigten Staaten gelangte.
    Die weiblichen Polizeieinheiten traten sofort gegen diese Rauschgiftlieferanten in Aktion. Trotz einer sehr unzulänglichen
     polizeilichen Ausbildung erzielten sie bei der Bekämpfung der weiblichen Unterwelt, die selbst noch in ihren Anfängen steckte,
     bedeutende Erfolge. Diese waren zum Teil zurückzuführen »auf eine Eigenschaft, die ihre männlichen Vorgänger nicht immer besessen
     hatten: die Unbestechlichkeit« 1 . Aber es ging nicht allein um das Rauschgift. Auch auf anderen Gebieten entfaltete sich die Findigkeit des Lasters. Bekanntlich hatte
     die Bedford-Administration die Sex-Shops unter Androhung hoher Gefängnisstrafen geschlossen und vor allem die Herstellung
     und den Verkauf der für Frauen bestimmten erotischen Artikel verboten. Dieses Gesetz wirkte sich ohne Zweifel sehr wohltuend
     auf die öffentliche Moral aus, doch brachte es eine starke Nachfrage vor allem nach Gegenständen phallischen Charakters mit
     sich, »und das entgegen der jetzt wissenschaftlich erwiesenen Tatsache 2 , daß das weibliche Lustempfinden von der Berührung der Klitoris herrührt und nicht von der

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