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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Und nun
     finde ich mich schon nach zehn Minuten mit Händen und Füßen an den Marterpfahl gebunden, ihren Pfeilen preisgegeben. Ich,
     dem es in der Welt von früher nie gelungen war, einer Frau überlegen zu sein, zumindest nicht der, die ich liebte! Ich mache
     mich auf das Schlimmste gefaßt.
    Schweigen. Fragende Blicke. Den ersten Tomahawk schleudert Lia Burage.
    »Wir meinen, daß Sie sich uns gegenüber nicht anständig verhalten.«
    »Nicht anständig!« sage ich entrüstet. »Aber ich bin doch höflich.«
    »Sie sind in einer unaufrichtigen, oberflächlichen Art höflich«, sagt Crawford. »In Wirklichkeit sind Sie unkameradschaftlich,
     mit Ausnahme von heute.«
    »Arrogant«, sagt Morrisson (ehemalige Mistress).
    |130| »Und vor allem bewegen Sie sich fast ständig an der Grenze der Schamlosigkeit«, sagt Jones (ehemalige Miss).
    »Ich und an der Grenze der Schamlosigkeit!«
    »Sie sind sich dessen nicht einmal bewußt!« ruft Mason aus (ehemalige Miss). »Sie verhalten sich eben wie ein eingefleischter
     Phallokrat. Sie strotzen von männlicher Arroganz. Sie bringen überall Sex ins Spiel.«
    Werden diese Mänaden den neuen Orpheus zerfleischen?
    »Zum Beispiel?« frage ich mit erstickter Stimme.
    »Ich kann Ihnen mehrere Beispiele nennen«, sagt Lia Burage und heftet ihre blauen Augen auf mich. »Sie machen diskriminierende
     Unterschiede, um uns auseinanderzubringen. Sie nennen Crawford Crawford und Morrisson Morrisson. Mich aber nennen Sie Mrs.
     Burage. Warum?«
    Ich glaube, die richtige Antwort darauf zu haben, und sage ruhig: »Mir war aufgefallen, daß Crawford und Morrission ihre Eheringe
     abgenommen hatten, während Sie Ihren trugen. Ich dachte, daß Sie vielleicht ein bißchen altmodisch sind, und weil ich selbst
     ein bißchen altmodisch bin, habe ich Ihnen gegenüber die alte Anrede gebraucht.«
    Diese Erklärung erzielt eine unerwartete und für mich demütigende Wirkung: sie belustigt die Frauen. Außer Lia Burage lachen
     alle und betrachten mich halb amüsiert, halb herablassend. Crawford, die sich gar nicht beruhigen kann, sagt spöttisch, aber
     ohne Boshaftigkeit: »Er hat überhaupt nichts kapiert!«
    Diese Laxheit gefällt Mrs. Burage nicht. Pardon, Burage. Sie macht ts, ts, sieht Crawford strafend an und fährt ernsthaft
     fort: »Die Frage, ob man seinen Ehering trägt oder nicht, hat nicht die Bedeutung, die Sie ihr beimessen, Doktor. Ich habe
     meinen anbehalten, weil mein Finger angeschwollen ist.«
    Erneutes Lachen, das Burage sofort zum Schweigen bringt. Als es wieder ruhig ist, versuche ich, mich zu verteidigen.
    »Ist denn mein Verhalten schamlos?«
    »Nein«, sagt Burage, »es ist taktlos. Mr. Barrow hat es Ihnen gesagt, aber Sie haben sich nicht danach gerichtet.«
    »Warum dann
Mister Barrow
? Ist das nicht ein alter Zopf?«
    »Mr. Barrow ist Verwalter. Außerdem hat es keine Bedeutung: Mr. Barrow ist ein A.«
    Eine Logik, die mir die Sprache verschlägt. Als ich mich |131| wieder gefaßt habe, fahre ich fort: »Kommen wir zu meiner sogenannten Schamlosigkeit.«
    »Was heißt sogenannt«, sagt Burage. »Sie existiert nachweislich. Am 5. Januar haben Sie die Hand von Jones ergriffen, um ihr
     zu zeigen, wie man ein korrektes Präparat herstellt.«
    Bei dieser Erinnerung errötet die blone Jones (ehemalige Miss) und senkt die Augen, während mitleidige Blicke sie streifen.
    »Und das hätte ich nicht machen sollen?« frage ich erstaunt.
    »Nein.«
    »Aber ich mußte es ihr doch zeigen.«
    »Ja. Erklären. Ohne sie zu berühren.«
    »Aber ich habe mir überhaupt nichts dabei gedacht.«
    Burage sieht mich mit ihren klaren Augen an, in denen alle Tugenden vereint zu sein scheinen.
    »Doktor, Sie haben vielleicht
gemeint
, sich nichts dabei zu denken. Aber Jones hat sich zu Recht beschwert. Und ich tat meine Pflicht, als ich ihre Beschwerde
     weiterleitete.«
    Ich versuche, meinem Gesicht einen unbefangenen und möglichst wenig männlichen Ausdruck zu geben und sehe die Jungfrau an,
     die durch die Berührung meiner Hand so schockiert war. Plötzlich kommt es mir so vor, als ob diese neue Ära eine Art Rückkehr
     zum Viktorianischen Zeitalter wäre. Zumindest in der Anfangsphase der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Denn von einer
     späteren Phase ist keine Rede mehr.
    Ich sage zerknirscht: »Verzeihen Sie, Jones.«
    »Macht nichts«, sagt Jones und wird puterrot. »Es ist bereits vergessen, Doktor.«
    Meine Demut macht auf alle, außer Burage, einen guten Eindruck.

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