Die geschützten Männer
wählte nicht den kleinen Saal des Labors, wo wir gewöhnlich Filme vorführen und kleine Versammlungen abhalten. Ich wollte
dem Gespräch einen intimeren Rahmen geben. Ich ließ sechs Stühle in mein Büro bringen und ordnete sie kreisförmig an. Ich
wollte auf meine beherrschende Position hinter dem Schreibtisch verzichten und als Gleicher unter Gleichen neben meinen Mitarbeiterinnen
Platz nehmen, die ich einzeln über die Sprechanlage zu mir rief.
Sie schienen mir ziemlich verwirrt und tauschten untereinander fragende, sogar beunruhigte Blicke, obwohl sie in Wirklichkeit
von meiner Seite nichts zu befürchten hatten, da sie sozial höhergestellt waren als ich. Während ich diese leicht gespannte
Atmosphäre wahrnehme, geht mir durch den Sinn, daß es sich dabei um Überbleibsel »eingewurzelter Gewohnheiten« handelt, wie
sie Deborah Grimm in ihrem Artikel beklagt. Trotz der ständigen ideologischen Beeinflussung sehen sie in mir weiterhin einen
Chef, und zwar einen männlichen Chef, der sie in doppelter Weise unterdrückt.
Obwohl ich mir fest vorgenommen habe, sie zu gewinnen, unternehme ich fürs erste nichts in diesem Sinne. Ganz im Gegenteil,
ich empfange sie mit undruchdringlicher Miene und jener kühlen, korrekten Höflichkeit, die mich selbst abstößt, |124| wenn man sie mir entgegenbringt, weil man dahinter alles mögliche vermuten kann. Seit Hilda Helsingforths erstem Brief, in
dem sie meine Beziehungen zu den Frauen kritisierte, habe ich sie stets auf diese Weise behandelt. Ich bleibe dabei. Ich habe
vor, ihnen zunächst eine recht unangenehme Viertelstunde zu bereiten: hinterher werden sie meine Freundlichkeit um so mehr
zu schätzen wissen.
Meine Laborantinnen nehmen in dem Kreis Platz, und ich quetsche mich dazwischen. Überraschung. Dann eine gewisse Verlegenheit
und Verwirrung. Wir sind nicht durch den Wall meines Schreibtisches getrennt. Ich habe mit ihnen Kontakt. Und was für ein
Kontakt das für sie ist! Kontakt mit dem Sexualfeind Nummer eins. Mit dem Sexisten! Dem Phallokraten! Mit der minderwertigen,
dämonischen Kreatur! Die aber gleichzeitig, vermute ich, etwas Faszinierendes für Frauen hat, die dazu verurteilt sind, gesellschaftliche
Kontakte nur mit A.s zu pflegen.
Gleich zu Beginn des Spiels greife ich an. Ich ziehe aus meiner Tasche den Gegenbericht, den ich nach der Beschwerde über
mich an Mr. Barrow gerichtet hatte, und lese ihnen die sie betreffenden kritischen Passagen vor. Wie ich schon sagte, bin
ich darin schonend mit ihnen umgegangen, da ich mein Feuer auf Dr. Grabel konzentrieren wollte. Ich habe ein paar Mängel in
der Arbeit der Frauen aufgezählt, recht belanglos zwar, aber unter genauer Angabe von Name und Hausnummer.
Als ich fertig bin – und mir scheint, ich habe ihnen nichts Neues gesagt –, lasse ich eine Weile vergehen, bevor ich frage:
»Will jemand diese Fakten in Abrede stellen?«
Nach einer Pause sagt Lia Burage ruhig: »Was mich betrifft, streite ich sie nicht ab.«
Ihrem Tonfall läßt sich entnehmen, daß sie etwas anderes durchaus bestreitet. Doch bevor ich ihr das Wort erteile, will ich
mein Hinterland absichern.
»Hat sonst jemand etwas zu bemerken?«
Und ich sehe die Frauen der Reihe nach an, ohne ein Wort zu sagen. Sie schütteln den Kopf. Ich lasse mir Zeit. Ich möchte
in den verschlossenen Gesichtern lesen.
Das Durchschnittsalter dieser fünf Frauen liegt zwischen dreißig und vierzig Jahren. Keine ist häßlich, keine ist dumm. Keine
ist faul. Die beiden intelligentesten sind auch – ein Gipfel |125| der Ungerechtigkeit gegenüber den anderen – die attraktivsten: Mrs. Lia Burage und Mrs. Elizabeth Crawford. Da ich ein unverbesserlicher
Phallokrat bin, verwende ich manchmal diese alten Bezeichnungen. Sie sind heute auf Grund eines ungeschriebenen Gesetzes,
das die Anreden Mister, Miss und Mistress als unzulässig sexualisiert verwirft, außer Gebrauch und verboten. Seit Beginn des
modernen Zeitalters muß es demzufolge heißen: Crawford, Burage, Martinelli.
Allerdings verwende ich nicht immer die Anrede Miss oder Mistress. Ich mache bestimmte feine Unterschiede. Crawford spreche
ich mit Crawford an. Sie ist Witwe und trägt keinen Ehering mehr. Aber Lia Burage, die sich weniger an die neuen Konventionen
hält oder sich vielleicht eine stärkere Erinnerung an ihren Mann bewahren will, hat ihren Ring behalten. Deshalb nenne ich
sie unter wissentlicher Verletzung des ungeschriebenen
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