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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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deshalb, weil Mr. Barrow sie in diese müßige offizielle Konversation
     verstrickt hat. Um mich in gewisser Weise abzulenken, lasse ich unauffällig meine Blicke schweifen und stelle fest, daß Dave
     sich »mit seinen kleinen Freunden« mitnichten amüsiert.
    Mrs. Pierce, die an einem Tisch der A.s sitzt, entgeht nicht |149| das geringste, sie unterzieht Anita mit Schnabel und Augen einer Musterung und bedenkt mich mit einem kurzen aufmunternden
     Lächeln, wobei sie den zu ihrer Rechten sitzenden Dr. Grabel pausenlos mit einem Schwall von Worten überschüttet. Links von
     mir lassen sich Crawford und Burage an einem Nachbartisch nieder. Während sie sich den Anschein geben, völlig in ihr Gespräch
     vertieft zu sein, verlieren sie uns in Wirklichkeit keine Sekunde aus den Augen. Irgendwann fange ich sogar einen Seitenblick
     von Burage auf Martinelli ab (ich spreche selbstverständlich von Anita), der nicht gerade Wohlwollen verrät.
    Während des Essens tritt bei Anita zu meiner großen Überraschung eine plötzliche Wandlung ein, zwar kaum wahrnehmbar für die
     anderen, wohl aber für mich, der ich sie kenne. Ihre Gesichtszüge werden schlaff, und ein schwaches Zucken läßt für Sekunden
     ihre Oberlippe erzittern. Es ist das Anzeichen einer starken inneren Spannung, die, trotz ihrer bemerkenswerten Haltung und
     der anscheinend ungeteilten Aufmerksamkeit für Barrows leeres Gerede, von ihr Besitz ergriffen hat.
    Unsere Umgebung fühlt sich durch unsere Ehe offenbar herausgefordert. Mehr als durch die anderen verheirateten PMs, denn an
     sie hat man sich gewöhnt: das Anstößige ihrer Beziehungen wird, wenn man es so nennen darf, durch die Umzäunung von Blueville
     in Schranken gehalten. Aber Anita kommt von draußen. Und die Tatsache, daß sie der Präsidentin so nahesteht und daß sie trotzdem
     die lange Reise von Washington nach Blueville gemacht hat, um sich von einem PM umarmen zu lassen, verstärkt die schwelende
     Mißbilligung. Ich spüre es an der Art, wie uns die alleinstehenden Frauen und die A.s ansehen und durch uns hindurchsehen.
    Aus ebendiesem Grunde richtet Mr. Barrow kein einziges Wort an mich und geruht nicht einmal, mich wahrzunehmen. Von beiden
     Ehepartnern bin ich das sexistische Element und trage Schuld an dem Skandal. In der früheren Welt hätte meine Rolle der eines
     Callgirls entsprochen, das von einem Staatssekretär in aller Öffentlichkeit ausgeführt wird. Meine Anwesenheit am Tisch von
     Mr. Barrow und an der Seite Anitas wird zwar geduldet, aber als beispiellose Geschmacklosigkeit empfunden. Kate Barrow steht
     Höllenqualen aus, zumal sie ebenso wie ich errät, was Mr. Barrow unausgesprochen läßt. Sie sitzt mit glühendem Gesicht an
     diesem schmalen Tisch, an dem ich weder |150| eine Bewegung machen kann, ohne ihren Ellbogen zu berühren, noch meine Beine auszustrecken vermag, ohne sie anzustoßen. Sie
     muß sich wie ein sinnlicher, aber keuscher Puritaner fühlen, der unfreiwillig neben einer Frau von schlechtem Ruf sitzt und
     zwischen Gefühlen der Faszination und des Widerwillens hin und her gerissen ist. Sie vergeht vor Angst, daß sie vor allen
     Anwesenden und im Beisein ihres schwammigen Ehemanns mir gegenüber auch nur das geringste persönliche Interesse verraten könnte.
     Die Unglückliche hat sich dafür entschieden, auf ihren Teller zu starren oder, wenn sie den Kopf hebt, auf ihren Mann. Nie
     zuvor ist einer Schmalztonne, nie einem Leierkasten am Verhandlungstisch der Bürokratie größere Aufmerksamkeit zuteil geworden!
    Ich fühle mich unendlich erleichtert, als ich mit Anita allein in meinem Zimmer bin. Dave ist im Bett. Wir haben kein Wort
     gewechselt, und während Anita sich schweigend auszieht, schreibe ich auf der Maschine einen Zettel, worin ich sie bitte, mit
     mir ein belangloses Gute-Nacht-Gespräch zu führen, solange ich die Abhöranlage nicht ausgeschaltet habe. Ich gebe ihr das
     Blatt, sie liest es, runzelt die Brauen, und ihrem Gesicht kann ich ansehen – sie hat eine schreckliche Laune –, daß die Schwierigkeit
     darin bestehen wird, in den nächsten Minuten selbst die banalste Konversation aufrechtzuerhalten.
    Es gelingt uns trotzdem, mehr schlecht als recht, und mit größter Unlust von ihrer Seite. Anita fällt immer wieder in Schweigen,
     dem ich sie nur mühsam entreiße. Sie meidet meinen Blick und kehrt mir halb den Rücken zu. Sie, die sonst nackt mit mir ins
     Bett ging, streift den Pyjama über. Schließlich schalte

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