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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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verlachten unsere Warnungen, sie achteten nicht unseres Banns. Ihre Laster wuchsen, wurden stark, wurden viel. Die Stimme ihrer Ruchlosigkeit stieg bis zu dir empor. Wir konnten der furchtbaren Zuchtrute nicht vorbeugen, die du über sie ausstreckst. Lange flehten wir deine Barmherzigkeit an, jetzt laßt uns preisen deine Gerechtigkeit. Deine Schläge haben sie getroffen; werden sie nicht zu dir zurückkehren? Deine Hand liegt schwer auf ihrem Haupt; werden sie sie nicht erkennen? Aber ach! ihr Herz ist verstockt, aber wehe! ihre Augen sind verblendet. Denn sie wagen es, diese Wirkung deiner Macht einem blinden Naturspiel zuzuschreiben. Die Toren sprechen in ihrem Herzen: es ist kein Brahma! Alle Eigenschaften der Materie sind uns noch nicht bekannt, und dieser neue Beweis ihres Daseins beweist nichts, als die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit derer, die ihn uns entgegenstellen. Auf diesem Grund haben sie Systeme gebaut, Hypothesen erdacht, Experimente aufgestellt. Aber Brahma sitzt auf seinem ewigen Stuhl und blickt herab auf ihr eitles Beginnen, Brahma lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer. Ihre frevelhafte Weisheit ist verwirrt, und die Kleinode zerbrachen wie Glas den ohnmächtigen Zaum, den man ihrer Geschwätzigkeit anlegen wollte. Bekennen soll es endlich, das hochmütige Gewürm, die Schwäche seiner Vernunft und die Vergeblichkeit seiner Anstrengungen. Aufhören soll es endlich, Brahmas Dasein zu leugnen oder seiner Macht Schranken setzen zu wollen. Es ist ein Brahma. Er ist allmächtig, und er weist sich uns nicht minder deutlich in seinen schrecklichen Strafen, als in seiner unaussprechlichen Gnade.
    Aber wer hat über unser unglückliches Land diese Strafen heraufbeschworen? Sind es nicht deine Ungerechtigkeiten, du begehrlicher und treuloser Mann? Deine Buhlereien und Liebesrasereien, o Weib, du schamloses Weltkind? Deine Ausschweifungen und dein schändlicher Frevel, du niederträchtiger Wollüstling? Dein Geiz gegen unsere Klöster, du Habgieriger? Deine Pflichtvergessenheit, du feiler Richter? Dein Wucher, du unersättlicher Kaufmann? Deine Weichlichkeit und dein Unglauben, du gottvergessener weibischer Höfling? Und ihr, der ihr zuerst unter seiner Geißel blutet, ihr Frauen und Mädchen, versunken im Schlamm der Sünde, was kann es euch fernerhin helfen, wenn wir gar unsere Amtspflicht vergessend Stillschweigen bewahrten über eure Verirrungen? Tragt ihr nicht eine Stimme in euch selbst, der ihr noch weniger entrinnen könnt, als der unsrigen? Sie verfolgt euch überall. Überall wirft sie euch eure unreinen Begierden vor, eure sträflichen Neigungen, eure lasterhaften Beziehungen, eure Sorge zu gefallen, eure Künste anzulocken, eure Schlauigkeit festzuhalten, die Unbändigkeit eurer Wollust und die Wut eurer Eifersucht. Was säumt ihr denn, Cadabras Fesseln abzuwerfen und zu Brahmas sanften Geboten zurückzukehren? Aber bleiben wir bei unserem Gegenstande. Die Weltkinder setzen sich, sagte ich euch, auf eine Gott mißfällige Art nieder aus neun Ursachen. Erstlich usw.«
    Diese Predigt machte Eindrücke von ganz verschiedener Art. Mangogul und die Sultanin, die allein um das Geheimnis des Ringes wußten, fanden: der Brahmine habe das Geschwätz der Kleinode eben so glücklich mit Hilfe der Religion erklärt, als Guallonorone durch das Licht der Vernunft. Die Damen und Stutzer des Hofes behaupteten, die Predigt sei aufrührisch und der Prediger ein Schwärmer. Der übrige Teil seiner Zuhörer betrachtete ihn als einen Propheten, weinte, betete, geißelte sich sogar und veränderte seine Lebensart nicht.
    Selbst in den Kaffeehäusern sprach man davon. Ein schöner Geist entschied, der Brahmine habe die Frage nur obenhin berührt, seine Rede sei ein frostiges, geschmackloses Wortgepränge. Aber nach der Meinung der Betschwestern und Erleuchteten war dieses ein Stück so gründlicher Beredsamkeit, als nur irgendeins seit hundert Jahren in den Tempeln gehört worden sei. Mir scheint, der schöne Geist und die Betschwestern hatten recht.
    Während die Brahminen Brahma reden ließen, Pagoden herumtrugen und die Völker zur Buße ermahnten, dachten andre darauf, aus der Plauderhaftigkeit der Kleinode Vorteil zu ziehen.
    Die großen Städte wimmeln von Menschen, welche das Elend erfinderisch macht. Sie stehlen nicht, sie beutelschneiden nicht, aber sie gehören zu den Beutelschneidern, wie die Beutelschneider zu den Spitzbuben. Sie wissen alles, tun alles, haben ein Geheimnis für alles. Sie kommen und

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