Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
locker. Er spricht von einer Überraschung, die er für Kurt Baumann habe, er hat etwas so Sieghaftes in der Stimme, daß Kurt Baumann errät und ausbricht: »Du hast den Wagen. Au Backe, das wird fein.« Berthold Oppermann nämlich ist ein guter Kamerad, er teilt gerecht und fair, er schreibt von Baumann die Mathematik ab und läßt den den deutschen Aufsatz abschreiben, und wenn Chauffeur Franzke die Jungen ans Steuer läßt, dann chauffiert er nur zwei Drittel der Zeit, ein Drittel überläßt er Kurt Baumann.
Dann ist es soweit. Berthold sitzt neben Chauffeur Franzke am Steuer. Er ist dicke mit Chauffeur Franzke.Natürlich hat Franzke seine Launen und läßt nicht immer mit sich reden. Aber heute läßt er mit sich reden, das sieht Berthold sogleich, und sicher wird er ihn ans Steuer lassen, trotzdem man unter achtzehn nicht chauffieren darf. Er fiebert darauf, endlich in die Außenbezirke zu kommen. Aber es wäre unmännlich, diese Ungeduld zu verraten. So führt er mit August ein ernstes Männergespräch über die Lage, über Wirtschaft und Politik. August Franzke und der Junge verstehen sich gut.
Wie dann Franzke richtig Kurt Baumann ans Steuer läßt und Berthold untätig im Fond sitzt, befällt ihn plötzlich die Erinnerung an ein kleines Erlebnis unmittelbar nach der Beerdigung des Dr. Heinzius. Er hatte im Wagen nach dem entfernten Friedhof hinausfahren dürfen, und auf dem Rückweg hatte er Kurt Baumann und seinen Vetter Heinrich Lavendel mitgenommen. Ihn hatten der trübe, graue Waldfriedhof in Stahnsdorf und die Vorgänge bei der Beerdigung sehr angerührt. Die beiden andern aber, schon jetzt, fünf Minuten nach der Eingrabung des Dr. Heinzius, schienen weit mehr an dem Wagen interessiert als an dem Toten, vor allem daran, ob Chauffeur Franzke sie endlich, verbotenerweise, ans Steuer lassen werde. Daß seine Kameraden das eben Erlebte so schnell abschüttelten, hatte Berthold nicht verstanden. Noch jetzt, während Kurt Baumann am Steuer saß, machte es ihn verwirrt und nachdenklich. Als er aber selbst ans Steuer konnte, verflogen diese Gedanken, und in ihm und um ihn war nichts als der Verkehr in Berlin SW.
In der Corneliusstraße mittlerweile erwartet man Herrn Jacques Lavendel. Frau Liselotte freut sich auf ihn. Martin, das weiß sie, sieht in Schwager Jacques nicht eben einen Mann nach seinem Herzen. Es war ihm unlieb, daß seine jüngste Schwester, Klara Oppermann, gerade diesen aus dem Osten stammenden Herrn geheiratet hat. Jacques ist ein ausgezeichneter Geschäftsmann, gewiß, hat Vermögen, kennt die Welt, ist immer gefällig. Aber was ihm fehlt, das ist Sinnfür Würde, für Formen, für Gehaltenheit. Nicht als ob er laute, aufdringliche Manieren hätte. Allein er nennt unangenehme Dinge so nackt bei Namen, und sein leises, freundliches Lächeln, wenn jemand von Ehre, Würde und dergleichen spricht, reizt Martin.
Liselotte reizt es nicht. Ihr gefällt Schwager Jacques. Sie ist aus der strengen Familie der Ranzow. Ihr Vater, hochbetitelt, aber kärglich besoldet, hatte die fehlenden äußeren Annehmlichkeiten des Lebens ersetzt durch vornehme Gesinnung und strenge Lebensführung. Liselotte Ranzow, die damals Zweiundzwanzigjährige, froh, die engen Sitten des väterlichen Hauses in Stettin mit der breiten Lebensführung der Oppermanns vertauschen zu können, hatte die wortkarge, ungelenke Neigung des jungen Martin mit allen Mitteln ermutigt.
»Wollen wir mit dem Kaffee warten, bis Jacques da ist?« fragte sie und zeigte lächelnd die großen Zähne des langen, schönen Mundes. Sie sah, daß Martin schwankte, ob er mit Jacques allein sein oder sie dazubitten sollte. »Hast du Wichtiges mit ihm zu besprechen?« fragte sie geradewegs.
Martin überlegte. Sie sind gute Kameraden, er und Liselotte. Er wird ihr selbstverständlich den Beschluß über die Namensänderung der Filialen noch heute mitteilen. Leicht ist das nicht. Er hat bis jetzt selten Gelegenheit gehabt, unangenehme Mitteilungen zu machen. Vielleicht ist es am klügsten, es ihr und Jacques gleichzeitig zu sagen. »Es wäre mir lieb, wenn du uns Gesellschaft leisten wolltest«, sagte er.
Breit saß dann Jacques Lavendel zwischen ihnen. Die kleinen, tiefliegenden Augen über der breiten Stirn schauten klug, freundlich, der starke, rotblonde Schnurrbart kontrastierte mit dem spärlich behaarten Schädel, die leise, heisere Stimme ging Martin Oppermann auf die Nerven wie immer.
Während Martin berichtete, hörte Jacques zu, die Augen
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