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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Wels wäre trotzdem befriedigter gegangen.
    Was jetzt zu geschehen hatte, war klar. Man mußte Wels zeigen, daß man auch ohne seine Hilfe den Oppermannschen Geschäften das Odium des Jüdischen nehmen konnte. Eine solche Erfahrung wird ihn gefügiger machen. Die augenblickliche politische Ruhe war die beste Gelegenheit, notwendige, längst erwogene Schritte zu tun.
    Man mußte nur die jüdische Firma Oppermann in eine Aktiengesellschaft mit neutralem, unverdächtigem Namen umwandeln. Andere jüdische Firmen hatten mit solchen Namensänderungen gute Erfahrungen gemacht. Es kam vor, daß Käufer, die eine bestimmte jüdische Firma boykottieren wollten, ihren Bedarf bei solch einer anonymen nichtjüdischen Gesellschaft deckten, die in Wahrheit nichts war als eine Tochtergesellschaft des gehaßten jüdischen Hauses. Da Wels nicht mitmachte, konnten die Oppermanns alleine eine Aktiengesellschaft Deutsche Möbelwerke gründen und vorerst eine der Berliner und eine der Provinzfilialen in dieser Gesellschaft vereinigen.
    Das war technisch leicht zu machen, versprach Erfolg, war das Gegebene. Trotzdem kostete es Entschluß. Deutsche Möbelwerke, was war das? Ein Neutrales, Allgemeines, nichtssagend wie ein Eisenbahnwaggon. Möbelhaus Oppermann hingegen, das war nicht zu trennen von dem Porträt Immanuel Oppermanns, von dem schweren, würdigen Martin, von dem quicken, großnasigen Herrn Brieger. Die Filiale Berlin-Steglitz und die Filiale Breslau als Deutsche Möbelwerke von sich zu trennen, hieß sich einen Finger amputieren oder eineZehe. Aber mußte man das nicht, um das Ganze zu retten? Man mußte es.
    Hatte man sich einmal entschlossen, dann galt es, rasch zu handeln. Martin wird die andern Oppermanns verständigen und sich noch heute mit Professor Mühlheim ins Benehmen setzen, dem Syndikus der Oppermanns.
    Allein, stützte Martin beide Arme schwer auf die Lehne seines Stuhls, ließ die Schultern fallen. Vielleicht wäre es doch richtig, jeden Morgen etwas Gymnastik zu treiben, wie seine Frau ihm riet. Achtundvierzig sind kein Alter, aber wenn man sich nicht vorsieht, ist man in zwei Jahren ein alter Mann. Gustav hat erfreulich jung und frisch ausgesehen. Gustav hat es leicht. Wirksam zu trainieren, das kostet mindestens fünfundzwanzig Minuten jeden Morgen. Wo soll er, Martin, diese fünfundzwanzig Minuten hernehmen?
    Er richtete sich auf, atmete, griff nach seiner Post. Nein. Das ist nicht so wichtig. Das Schwierige zuerst, so hat er es immer gehalten. Gustav wird er den heutigen Tag nicht verderben. Daß Gustav Einwände haben wird, ist ausgeschlossen. Er wird seufzen, einige Anmerkungen allgemein philosophischer Natur machen, unterzeichnen. Mit Edgar ist es noch einfacher. Am schwierigsten wird es mit Jacques Lavendel werden, seinem Schwager, dem Manne Klara Oppermanns. Einwände wird auch der nicht machen, im Gegenteil, der geschäftskundige Mann hat schon seit langem auf Namensänderung gedrängt. Nur: Jacques Lavendels Art ist gar so geradezu. Martin hat nichts dagegen, daß man seine Meinung unumwunden heraussagt. Aber Jacques Lavendel ist ein bißchen zu unumwunden.
    Er verlangt die beiden Telefonverbindungen, mit Professor Edgar Oppermann und mit Jacques Lavendel. Professor Oppermann, meldet die Sekretärin, ist in der Klinik. Natürlich, das ist er immer. Man wird ihn veranlassen, seinesteils anzurufen. Das wird er natürlich nicht; er hat viel zuviel mit seiner Klinik zu tun und ist viel zuwenig am Geschäft interessiert. Wie immer, ihm gegenüber hat Martin seine Pflicht getan.
    Jetzt ist Jacques Lavendel am Apparat. Er macht niemals Umstände. Mit seiner etwas heiseren freundlichen Stimme, sogleich nach Martins ersten einleitenden Sätzen, erklärt er, er möchte die Angelegenheit gern mit Martin persönlich durchsprechen; er werde sich, er wohnt nicht weit von Martin, wenn der nichts dagegen habe, nach dem Mittagessen in Martins Privatwohnung einfinden. Er freue sich, erwidert Martin.
    Er freut sich nicht. Das Mittagessen mit Frau und Sohn und die kurze freie Stunde nachher sind Martin die liebste Zeit. Er kann es manchmal nicht vermeiden, auch da Gäste zuzuziehen; gewisse Dinge lassen sich in der Privatwohnung besser erledigen als im Kontor. Aber gern tut er’s nicht, der Tag ist ihm verdorben, wenn er es tun muß.
    Immanuel Oppermann, aus seinen schläfrigen, schlauen behaglichen Augen, schaut auf seinen Enkel. Der denkt es nicht, aber er spürt: es ist die Kopie, nicht mehr das Original.
    Pünktlich

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