Die Gesichtslosen
Fahrzeug, als das ihn Kabria so gerne gesehen hätte. Bis sie die Schule erreichten. Von da an rührte er sich nicht mehr von der Stelle. Kabria traktierte verzweifelt das Gaspedal. Doch die Kraft ihres heiligen Zorns machte Creamy nur noch widerspenstiger. Er quietschte wie eine Maus in der Falle. Kabrias Augen wurden feucht vor Scham. «Mußt du dich ausgerechnet vor der Schule meiner Kinder so benehmen?» hielt sie ihm lautlos vor.
Die Kinder waren bereits ausgestiegen. Ottu dankte laut und vernehmlich seinem Herrgott, daß er es immerhin rechtzeitig vor «dieser Schande» zur Schule geschafft hatte und verschwand eilig auf dem Schulhof.
Obea hatte schon fast den Eingang erreicht, als sie Creamys Quietschen vernahm. Sie hielt kurz inne, um zu lauschen. Dann drehte sie sich lächelnd um. Das Lächeln gefror ihr allerdings auf den Lippen, ganz so, als hätten arktische Winde sie gerade gestreift. Zwei Schulfreundinnen entstiegen genau in diesem Moment fahrtüchtigen, schicken Autos. Und schon entfernten sich die vornehmen Motorengeräusche wieder. Obea lächelte jetzt schief. «Mum», rief sie. «Das ist der peinlichste Augenblick meines ganzen Lebens!»
Kabria fühlte sich versucht, ihre Entdeckung vom Morgen zu enthüllen, um ihre Tochter zum Schweigen zu bringen. Statt dessen sagte sie: «Geh jetzt rein.»
Essie jammerte: «Mum. Warum kannst du dir nicht einfach ein neues Auto kaufen?»
«Die lachen uns alle aus», ergänzte Obea.
Kabria wurde allmählich ärgerlich. Sie hatte ohnehin genug Probleme. Zum Beispiel mußte sie pünktlich ins Büro kommen, damit sie möglichst noch heute vormittag Auberginen und Tomaten von ihrer Agbogbloshie-Marktfrau abholen konnte. Das waren wahrhaftige und praktische Probleme, über die man sich aufregen konnte. «Die, die euch auslachen, nur weil das Auto eurer Mama mal einen Schluckauf hat», erklärte sie, «was machen die eigentlich mit denen, die mit dem Tro-tro kommen oder gar zu Fuß?»
Sie erhielt keine Antwort. Ihre Töchter drehten sich um und gingen davon.
Kabria lächelte sich gerade ihre Frustration von der Seele, als sie jemanden rufen hörte: «Madam.»
Es war ein Taxifahrer, der soeben ein paar Kinder gebracht hatte. «Warten Sie einen Moment und starten Sie dann gleich noch einmal.»
Kabria befolgte seinen Rat. Zehn Minuten später setzte sich Creamy wieder in Bewegung.
Vor zwei Wochen hatte ihr die Werkstatt eine Reparatur empfohlen. Sie war jedoch mißtrauisch geworden, weil der Mechaniker so enthusiastisch gewesen war. Sie hatte daraus gefolgert, daß er nur versuchte, aus ihrem armen Creamy eine Goldmine zu machen.
«Tuut, tut, tut», ein roter Mazda hupte mitten in ihre Gedanken. Sie ignorierte das Geräusch. Klar, er wollte, daß sie schneller fuhr. Doch den Gefallen konnte sie ihm beim besten Willen nicht tun. Sie fuhr schon so schnell, wie Creamy es zuließ. Der Fahrer eines gelbweißen Opel-Kadett-Taxis hinter dem roten Mazda besaß offensichtlich nicht die Geduld, einfach nur zu hupen. Er scherte aus und fluchte laut, als er haarscharf dem Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden schwarzen Hyundai entkam. Er drückte auf die Hupe, als er auf Kabrias Höhe war, und ließ seinem Ärger mit einem Schwall derber Flüche freien Lauf. Kabria ignorierte auch ihn. Sie dachte nicht daran, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen. Doch ihre Gleichgültigkeit machte den Taxifahrer nur noch wütender. «Blödes Weib», schimpfte er. «Wann entsorgst du endlich diesen Blechhaufen von der Straße?» Und weg war er.
Das brachte Kabria ins Grübeln. War es nicht höchste Zeit, daß Adade die Kinder morgens in die Schule brachte? Das würde allerdings bedeuten, daß die Kinder etwas früher aufstehen mußten, was noch mehr Streitereien und Chaos zur Folge haben würde. Nein. Es mußte eine andere Möglichkeit geben. Vielleicht könnte sie einen besser bezahlten Job finden. Doch dieser Gedanke erfüllte sie mit Grausen. Die entspannte und informelle Atmosphäre in ihrem Büro wollte sie nicht missen. Die Ampel sprang auf Gelb. Zwei Verkehrsrowdys überholten sie noch schnell, bevor es rot wurde. Kabria brauchte nicht abzubremsen. Es war schon lange rot, bevor sie an der Ampel zum Stehen kam. Ein etwa achtjähriges Mädchen, das eine blinde Frau an der Hand führte, kam auf sie zu. Die Frau stimmte einen offensichtlich gut geprobten Kirchengesang an, der auch Gottes Segen für Kabria versprach, sollte sie etwas geben.
«Ist das Ihr Kind?» fragte
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