Die Gesichtslosen
Sie hatte die Tüte total vergessen.
Macho blickte hinein und grinste.
«Da ist mein ganzes Geld von letzter Woche drin», jammerte Fofo.
«Alles?»
«Alles.» Fofo brach in Tränen aus.
«Und was willst du jetzt machen?»
Fofo zögerte nicht. «Ich gehe zu meiner Mutter.»
«Um sie um Geld anzugehen?»
«Bin ich von allen guten Geistern verlassen? Wer von uns beiden braucht wohl dringender Geld?»
«Was willst du dann bei ihr?»
«Ich hab dir doch erzählt, daß ich großen Ärger habe.»
«Wegen diesem Ärger willst du zu ihr?»
«Ja. Wegen Poison.»
«Poison. Dem Poison?»
Fofo nickte.
«Was um Himmels willen hast du mit dem zu schaffen?»
«Ich hab nichts mit dem zu schaffen. Ich hab dir doch erzählt, daß einer versucht hat, mich zu vergewaltigen. Das war Poison.»
Odarley lachte. Ihre anfängliche Angst wich der Belustigung. «Ach, Fofo! Wer glaubt dir denn das? Poison geht doch nicht hin und vergewaltigt Mädchen wie uns. Das hat er doch gar nicht nötig. Wenn er es will, braucht er nur mit dem Finger zu schnipsen und die Hi-life-Mädchen rennen ihm in Scharen hinterher. Bist du dir sicher mit dem, was du da sagst?»
«Ja. Ich versteh’s ja auch nicht. Deswegen will ich zu meiner Mutter. Sie kennt ihn, ich weiß nicht genau, woher. Aber ich weiß, daß sie ihn kennt.»
«Wer kennt ihn nicht?»
«Ich meine, sie kennt ihn… näher.»
«Was? Woher weißt du das?»
«Ich hab mal gehört, wie sie sich mit meinem Stiefvater unterhalten hat. Als ich noch zu Hause gewohnt hab. Und sie haben seinen Namen öfter erwähnt.»
«Haben sie gestritten?»
«Nein. Es war ein normales Gespräch. Also, eine Mischung aus einem Streit und einem Gespräch.»
«Das hast du mir nie erzählt.»
«Ich hab selbst nicht mehr daran gedacht. Aber jetzt, wo Poison versucht hat…»
«Fofo, bist du sicher, daß er es war?»
«Er war es.»
KAPITEL 2
Am gleichen Montag morgen begann sich das Spinnrad des Schicksals zu drehen und spann Fäden, die zwei Schicksale sorgfältig und ohne erkennbare Nahtstelle miteinander verwoben. Plötzlich sollte Kabria in ihrem bescheidenen, aber bequemen Heim in einem Mittelklasse-Vorort von Accra einfallen, daß ihre Auberginen- und Tomatenhändlerin am Agbogbloshie-Markt auf sie wartete. Kabria war Mutter von drei Kindern im Alter zwischen sieben und fünfzehn, die täglich ihrer Überzeugung, daß dieses Alter das schlimmste und anstrengendste überhaupt war, neue Nahrung gaben.
Kabria war jetzt sechzehn Jahre mit dem Architekten Adade verheiratet und liebte leidenschaftlich ihren Job bei der Nichtregierungsorganisation MUTE. Und genauso leidenschaftlich haßte sie ihre bescheidene monatliche Gehaltsabrechnung. Und sie pflegte ein schamloses Verhältnis zu ihrem alten Na-gib-ihn-mir-schon-vielen-Dank-Adade- 1975er VW-Käfer, genannt Creamy, dessen unberechenbares Verhalten den Gipfel der Unverschämtheit bildete.
Als Mutter, Ehefrau, Berufstätige und Altauto-Besitzerin verging kein Tag, an dem Kabria sich nicht fragte, wie der Herr im Himmel auf die Idee gekommen sein konnte, einen Tag zu schaffen, der nur vierundzwanzig Stunden hatte; denn vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang fraßen ihre häuslichen Pflichten sie auf, wurde sie von ihren beruflichen Aufgaben geschluckt und verschlangen ihre drei Kinder sie mit ihren manchmal realistischen und häufig genug sehr unrealistischen Forderungen. Während der Zuckerguß des ganzen Kuchens, Vater Adade nämlich, nicht mehr zu tun brauchte, als ein ganz normaler Ehemann zu sein, stand Kabria ständig unter Druck.
Obea, ihre älteste Tochter, war fünfzehn und hatte sozusagen das gewisse Alter erreicht. Vor drei Jahren war sie zum Teenager geworden, drei weitere fehlten, und sie durfte wählen. Kabria schien es, als habe Obea ihr mit Kindergesicht und flachen Brüsten gute Nacht gesagt und wäre am nächsten Morgen mit knospendem Busen und einem Paar runder Hüften aufgewacht. Sie stürzte damit sowohl Kabria als auch Adade in ein Gefühlschaos. Eben war sie noch ihr kleines Mädchen gewesen, und jetzt verwahrte sie sich gegen alles, was auch nur im Entferntesten daran erinnern konnte. Und während Kabria in den Phasen des Unbehagens still vor sich hinlitt und betete, Er möge ihr zeigen, wie sie mit ihrer heranreifenden Tochter fertig werden könne, ging Adabe jeden Abend mit der Frage zu Bett, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen war, in zwei Bulldoggen zu investieren, die potentielle männliche Verehrer schon vor
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