Die Gesichtslosen
– Sony aus Japan. Er war ledig, hatte aber zwei Söhne mit zwei verschiedenen Frauen. Beide wohnten bei den Familien der Mütter. Die Kinder im Compound stritten sich oft darum, für ihn Erledigungen übernehmen zu dürfen, denn er zahlte gut. Und besonders mochten die Kinder an ihm, daß er sie bei sich im Zimmer fernsehen ließ. Für alle war er der gute Onkel, und die Kinder und auch die Älteren nannten ihn deshalb Onko. Weinende Kinder tröstete er stets mit Bonbons. Viele Kids redeten lieber mit ihm als mit ihren eigenen Vätern. Er kümmerte sich sehr um seine beiden Söhne und deren Mütter, aber er wollte mit keiner der beiden zusammenleben.
Auch Fofo und Baby T hatten sich mit ihrem Kummer an ihn gewandt, nachdem zu Hause plötzlich ein Mann aufgetaucht war, den ihnen Maa Tsuru als neuen Vater vorgestellt hatte. Maa Tsuru hatte, seit Kwei aus ihrem Leben verschwunden war, nie mehr Kontakt mit einem Mann gehabt. Sie hatte auch nie regelmäßig gearbeitet. Nach dem Tod der Tante, in deren Kenkey-Geschäften sie mitgeholfen hatte, schlug sie sich mit Gelegenheitsjobs durch. Manchmal half sie aus im Kenkey-Haus oder wusch Wäsche gegen Bezahlung. Sie blieb nie lange in einem Job, da ihre beiden Söhne die Familie von dem Geld und dem frischen Fisch, ihren täglichen Mitbringseln vom Strand und vom Fischmarkt, ganz gut ernährten. Fofo und Baby T brachten zusätzlich Geld ins Haus, so daß es zum Leben – oder zumindest zum Überleben – reichte.
Eines Nachmittags kam Maa Tsuru mit einem Mann ins Gespräch, den sie fortan öfter treffen sollte. Gleich stellte sich heraus, daß er arbeitslos war. Das störte Maa Tsuru nicht besonders, zumal er ihr versicherte, daß dies nur ein vorübergehender Zustand sei.
«Ich arbeite in einer Aluminiumfabrik in Tema», erzählte er ihr. «Hast du schon einmal von dieser großen Fabrik gehört, die vor zwei Wochen wegen wichtiger Reparaturarbeiten kurzfristig geschlossen werden mußte?» Maa Tsuru verneinte.
«Ach, das macht nichts. Keine Sorge. Das dauert jedenfalls nur ein paar Monate. Da sind ein paar Weiße aus Europa und Amerika gekommen, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Die Fabrik wurde noch zu Nkrumahs Zeiten errichtet und ist seitdem nie mehr gewartet worden. Kannst du dir das vorstellen?»
Maa Tsuru lächelte verlegen.
«Wie dem auch sei», fuhr er fort. «Sobald die damit fertig sind, stellen sie uns wieder ein. Dann werde ich, Nii Kpakpo, in der Lage sein, großzügig für euch zu sorgen.»
Maa Tsuru glaubte ihm. Warum auch nicht? Sie hatte ihr Herz an ihn verloren. Auch daß er sie nie zu sich nach Hause einlud, machte sie nicht stutzig. Denn auch dafür hatte er eine gute Erklärung.
«Du weißt doch, was alle hier denken wegen des Fluchs, oder? Bei meiner Familie ist das nicht anders. Sie werden unsere Beziehung nicht gutheißen. Deshalb komme ich lieber zu dir.»
Während seine Fabrik instand gesetzt wurde, hatte Kpakpo jede Menge Zeit für Besuche. Er kam jetzt jeden Nachmittag, wenn Fofo und Baby T und ihre Brüder unterwegs waren. Maa Tsuru kochte für ihn. Er war schließlich vorübergehend arbeitslos. Wo sollte er das Geld hernehmen, um etwas zu den Mahlzeiten beizutragen. Doch der Mann lebt nicht vom Brot allein, oder? So legte er eines Nachmittags auf seinem Weg zu Maa Tsuru einen Zwischenstop bei Agbo Ayee ein. Er stürzte zwei «Kill-me-quick» runter, um den «Sag-deiner-Schwiegermutter-alles-was-du-über-sie-denkst»-Effekt zu erzielen. Zwei weitere Gläschen Bitters schüttete er als Aphrodisiakum hinterher. Nun war er bereit, Amors Pfeil abzuschießen. Heute wollte er sie herumkriegen. Aber bei Frauen wußte man ja nie. Ein falscher Schritt, und es wäre womöglich ein für allemal aus mit den regelmäßigen Gratismahlzeiten. Also lieber bei ihr zuerst noch die Portion Kenkey und Fischsoße mitnehmen und dann rangehen.
Zur Mahlzeit trank er drei Tassen Wasser und entfernte die Essensreste zwischen seinen Zähnen mit dem Nagel des kleinen Fingers. Dann setzte er den zärtlichsten Blick auf, den er unter den gegebenen Umständen zustande brachte, und murmelte: «Ich möchte so gerne auch die Nächte bei dir verbringen, Tsuru.»
Maa Tsuru reagierte keineswegs verärgert, sondern fühlte sich im Gegenteil geschmeichelt. Und so sollte er mehr bekommen, als er verlangt hatte.
Gleich am nächsten Tag kaufte sie am Agbogbloshie-Bahnhof gebrauchte Vorhänge. Bisher hatte sie immer im Bett geschlafen, Fofo und Baby T auf Matten neben dem
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