Die Gesichtslosen
abzukassieren.
Im Alter von fünfzehn beherrschte Poison sämtliche Winkelzüge der Zuhälterei und konnte sich selbständig machen. Die Gründung einer eigenen Gang bereitete ihm keine Probleme, er hatte sich bereits einen Namen gemacht. Jetzt ging es nur noch darum, das entsprechende Terrain abzustecken. Mit der nötigen Aggressivität begann er mit der Rekrutierung der Mädchen.
Eine dieser heranwachsenden Frauen machte gleich am Anfang Probleme. Sie lehnte es schlichtweg ab, einen Kunden seinen Wünschen gemäß zu bedienen. Poison nahm sie mit in sein Zimmer. Er schloß die Tür ab, entkleidete sie vollständig und peitschte sie gnadenlos mit seinem Hosengürtel aus, anschließend vergewaltigte er sie. Fortan wagte keine mehr, ihm die Stirn zu bieten.
Poison bot einen bedrohlichen Anblick, allein die zwei Narben in seinem Gesicht sahen furchterregend aus. Eine verlief quer über seine linke Augenbraue. An der Stelle wuchsen keine Härchen mehr. Die andere verlief waagrecht, schräg und war sehr lang. Man hätte sie für ein Stammeszeichen halten können, auf den zweiten Blick aber konnte man erkennen, daß sie nicht vom Augenwinkel zum Nasenrücken verlief, sondern irgendwo unter dem Auge anfing und sich bis zum Kieferknochen erstreckte.
Poison grinste so selbstbewußt, wie es sich für einen Herr der Straße gehörte. Kabria schauderte unter seinen funkelnden Blicken. Sein rechter Mundwinkel verzog sich zu einem gemeinen Lächeln, womit er signalisieren wollte, daß er Kabrias Unbehagen wohl bemerkt hatte und sich an ihrer Verlegenheit ergötzte. Sylv Po übernahm es, ihr Anliegen vorzutragen, und Poison hörte gespannt zu.
«Ich habe Baby T nicht umgebracht. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, hat sie noch gelebt», war alles, was er sagte.
Damit das Treffen mit Poison überhaupt zustande kam, hatte es einer Mischung aus brisanten Zutaten bedurft: einer Prise Entschlossenheit, etwas Erpressung und einer Messerspitze Betrug.
Dina hatte Kontakt mit der Agentur aufgenommen, die ihr Afi, Dinas Haushaltshilfe, vermittelt hatte, und Nachforschungen angestellt über die Frau, vor der sie Afi ‹gerettet› hatten, bevor sie in die Prostitution verkauft werden konnte. Die Agentur zeigte sich anfangs nicht sonderlich kooperativ. Alle möglichen Mädchen bewarben sich bei Haushaltshilfeagenturen wie dieser. Schulabbrecherinnen im Teenageralter, die schon ein hartes Leben hinter sich und verstanden hatten, daß das «freie» Leben so frei nicht war. Dann gab es das Mädchen, das wie einst Afi unter dem Vorwand, sie als Haushaltshilfe einzustellen und ihr nebenbei eine Ausbildung zu ermöglichen, aus dem Dorf in die Stadt gebracht worden war, und dann in die Prostitution gezwungen werden sollte. Über sie alle, ihren familiären Hintergrund und ihre Vergangenheit mußte die Agentur Informationen einholen und diese archivieren. So auch über die Frau, die Afi an die «Streetlords» verkaufen wollte.
Die Streetlords in Accra kannten sich alle untereinander. Sie waren nicht unbedingt miteinander befreundet, aber sie respektierten sich und vermieden es, sich gegenseitig auf die Füße zu treten. Die Agentur fürchtete anfänglich, sie könnte durch die Zusammenarbeit mit MUTE und Harvest FM das Vertrauen ihrer «Quellen» verspielen.
Aber von Sylv Pos Angebot, er könnte die Agentur im Radio vorstellen, ließen sie sich schließlich überzeugen und schickten ihre «Quellensucher» los. So erhielt Poison die Nachricht, daß eine «Lieferung» zu erwarten sei. In Poisons Welt bedeutete das nichts anderes als frische junge Mädchen aus armen Dörfern. Die Lieferantin, so wurde Poison unterrichtet, wolle ihn gerne gemeinsam mit ihrem Partner treffen.
Sylv Po räusperte sich. «Wenn du also Baby T wirklich nicht umgebracht hast, dann ist es in deinem Interesse, mit uns zusammenzuarbeiten, um herauszubekommen, wer es wirklich war. Alle Indizien sprechen gegen dich, man geht bereits davon aus, daß du der Mörder bist. Und du bist Linkshänder.»
«Ich habe das Mädchen geschlagen, das ja, aber ich habe es nicht getötet», lenkte Poison ein. «Warum sollte ich ein Mädchen umbringen, das mir einen Haufen Geld einbringt? Maami Broni wird das bestätigen. Sprechen Sie mit ihr. Ich habe sie geschlagen, ich habe sie heulend liegengelassen, aber nicht getötet. Sie hätte doch nicht geheult, wenn sie tot gewesen wäre, oder?»
«Wo finden wir Maami Broni», fragte Sylv Po.
Einer von Poisons Gefolgsleuten beschrieb ihm
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