Die Gesichtslosen
sagte: «Maame, bitte, sehen Sie sich die junge Dame genau an. Das ist meine jüngste Tochter. Ja?»
Die Erdnußverkäuferin lachte.
«Sollten Sie ihr jemals wieder Erdnüsse auf Pump verkaufen, handeln Sie auf eigenes Risiko.»
Die Frau lachte wieder. «Sie sind doch alle gleich.»
Kabria lächelte.
«Mum!» rief Ottu, als sie losfuhren.
Kabria ignorierte ihn.
Er fuhr ungerührt fort. «Wenn du mir eine neue Lunchbox kaufst, kannst du mir dann eine mit…»
«Ottu!» schrie Kabria.
«Ja, Mum.»
«Halt einfach den Mund!»
Kabria ging direkt in die Küche, ohne sich umzuziehen. Abena war spät dran mit dem Aubergineneintopf. Ihre Chefin hätte sie wieder zum Markt geschickt, erklärte sie, und deshalb hätte sie nicht pünktlich Schluß machen können. Kabria nahm sich fest vor, die Madam erneut zur Rede zu stellen.
«Sag Obea, sie soll sich mit den Hausaufgaben beeilen und uns hier in der Küche helfen!» trug sie Abena auf.
«Und nach dem Essen holst du mir bitte das Klebeband. Ottu muß die alte, geflickte Lunchbox noch eine Woche mit in die Schule nehmen. Ich repariere den Griff. Dann wird er hoffentlich die neue mit größerer Sorgfalt behandeln.»
Kabria rührte die Palmölsoße um und nahm etwas Hitze weg. Abena kam zurück in die Küche und holte den Mörser heraus. Sie nahm die gekochten Auberginen vom Feuer. Kabria wartete auf Obea. Nach einer Weile rief sie erneut nach ihr. Obea antwortete nicht.
«Obea!» rief sie, diesmal laut und deutlich.
Stille.
Kabria legte den Kochlöffel zur Seite und stapfte wütend ins Mädchenzimmer. Obea drehte sich gerade vor dem Spiegel. Kabria stellte sich wutentbrannt vor ihre Tochter und riß sie am Ohr.
Obea zuckte zusammen und schrie auf. Kabria legte ihren Mund an Obeas Ohr und rief: «Ich sagte, wir brauchen Hilfe in der Küche. Komm und schäl die…»
«Aua, Mum, aua!» wand sich Obea und wunderte sich, warum ihre Mutter mitten im Satz abbrach.
Kabria ließ Obeas Ohr los und starrte geistesabwesend vor sich hin.
«Stimmt was nicht, Mum?» fragte Obea besorgt.
«Versuch mal, Auntie Dina ans Telefon zu kriegen. Schnell!»
Sie ging zurück in die Küche.
«Mum, ich habe sie!» rief Obea schließlich.
«Sag mir Bescheid, wenn du mit dem Zerstampfen der Auberginen fertig bist», rief Kabria Abena zu und eilte zum Telefon.
«Dina, hör mir bitte gut zu. Und unterbrich mich nicht. Ist Fofo bei dir?… Gut! Die Fingerabdrücke sowohl auf Fofos als auch auf Baby Ts Gesicht, die waren doch jeweils auf der rechten Wange, oder?… Gut! Jetzt hör zu. Rufe Fofo… Ja, sie soll sich vor dich hinstellen. Steht sie dir jetzt gegenüber?… Jetzt tu so, als würdest du ihr eine runterhauen. Nein! Nein! Hau sie nicht wirklich. Verdammt! Dina! Du sollst nur so tun, als ob… Hast du…? Gut! Und jetzt frage Fofo, ob Poison Linkshänder ist… Bingo!»
KAPITEL 20
Der Eilzusteller klopfte lächelnd an die Tür des MUTE-Büros, er hielt Dina lächelnd den Quittungsblock zum Unterschreiben hin, er drehte sich lächelnd um und ging lächelnd zurück zu seinem Motorrad. Man hatte ihm beigebracht, seine Arbeit mit einem Lächeln zu erledigen. Und dieses Lächeln war ansteckend. Dina las lächelnd den Absender, obwohl dieser seltsam klang: Abraham Lincoln. Und der Inhalt war beschrieben mit «Muster-Baumwolle (zum Prüfen)».
«Guckt mal, was für ein seltsames Päckchen wir bekommen haben!» rief Dina den anderen zu.
«Ich hoffe, es ist eine angenehme Überraschung», bemerkte Vickie.
«Da bin ich ganz sicher. Ich glaube, die Leute lernen allmählich, unsere Arbeit zu schätzen», fügte Kabria hinzu. Es war immerhin etwas Besonderes, daß vier Frauen es auf sich nahmen, den Fall eines Straßenkinds zu lösen. Zwei Tage waren vergangen, seitdem Kabria die Linkshänder-Theorie aufgestellt hatte. Zwei Tage, in denen Sylv Po keine Zeit verschwendet hatte. Gleich am Morgen nach Kabrias «Entdeckung à la Obea» stellte er diese Hypothese seinen Hörern in folgenden Worten vor: «Die Aufklärung des Falls des jungen Mädchens, das hinter dem Rasta-Frisiersalon in Agbogbloshie vor drei Wochen gefunden wurde, schien zunächst im Sande zu verlaufen, genau wie bei vielen anderen Verbrechen, deren Opfer aus den unteren Schichten kommen. Doch hier gab es eine Reihe von ungewöhnlichen Vorkommnissen, die alles auf den Kopf stellten, so daß wir nun, in einem ‹Bündnis der Neugier› mit den Mitarbeiterinnen von MUTE dem Geheimnis des toten Mädchens hinter dem
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