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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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eisiger Kralle nach meinem Herz zu greifen. Ich zog meine Hand zurück und betrachtete den Stein. Er wirkte wie immer, doch als ich genauer hinsah, erkannte ich: Seine glänzende Oberfläche war nun stumpf und das rot-orange Leuchten zu einem matten Glimmen verblasst, wie ein Feuer, das bis auf wenige Reste der Glut erloschen war. Eine Welle der Verzweiflung drohte mich zu überwältigen. Durch das Rauschen in meinen Ohren hörte ich Jonathan gedämpft krächzen, und ich konnte seine Angst spüren, die auch meine war.
    Mit aller Kraft presste ich den Stein gegen den massiven Stahl. »Komm schon, bitte!«, flüsterte ich. Zwei oder drei Sekunden geschah nichts. Dann begann das Zahlenfeld neben der Tresortür auf einmal wild zu blinken und zu piepsen. Ich hielt den Atem an. Würde der Safe sich öffnen oder eine Alarmanlage losgehen und innerhalb von Minuten die ganze Nachbarschaft aufmerksam werden?
    Mit einem gequälten Ächzen der Scharniere, das wie ein Schmerzenslaut klang, schwang die massive Tür Millimeter um Millimeter zur Seite, und ich atmete auf.
    Im selben Moment vernahm ich ein leises Knacken, und in meiner Hand fühlte ich ein winziges Beben. Unwillkürlich flog mein Blick von dem Safe zu dem Stein, der auf meiner Handfläche lag, und ich schrie leise auf: Er löste sich vor meinen Augen auf und zerfiel zu schwarzgrauem Staub, der von einer unsichtbaren Windböe aufgewirbelt wurde und verwehte. Dann war der Zauber verflogen.
    Ich drehte mich zu Jonathan um und wollte ihm davon erzählen. Doch der Rabe saß nun selbst wie versteinert auf der Sessellehne und starrte an mir vorbei. Ich folgte seinem Blick, der auf die Tür des Safes gerichtet war. Inzwischen stand sie sperrangelweit offen und gab den Blick auf das Innere frei. In meiner Kehle stieg ein verzweifelter Schrei auf, den ich nur mit Mühe unterdrücken konnte: Der Tresor war leer.

[home]
    Kapitel 17
    F assungslos starrte ich in den schwarzen Abgrund des Safes. Ich konnte nicht glauben, dass Jonathan und ich so kurz vor dem Ziel gescheitert waren. Ich beugte mich vor und spähte in den Hohlraum in der Wand. Allerdings würde ich nichts finden, das ahnte ich, noch bevor ich meine Hände ins Innere des Tresors streckte, in dem meine Finger nichts als glatte Stahlwände ertasteten. Trotzdem: Dort hatte der Ring vorher gelegen, dessen war ich mir ganz sicher. Ich konnte es am Kribbeln in meinen Fingerspitzen spüren. Aber jetzt war er verschwunden, und damit war alle Hoffnung dahin, Jonathan und mich von Laurins unheilvollem Fluch erlösen zu können.
    Niedergeschmettert schlug ich die Hände vors Gesicht. Ich spürte kaum, dass ich immer noch die alberne Strickmütze mit den Augenschlitzen trug. Ich fand keine Worte für meine Verzweiflung. Da hörte ich auf einmal einen schrillen Pfeifton, der von Jonathan kommen musste. Er klang nicht nach einem Trostversuch, sondern … einer Warnung! Mein Kopf fuhr herum. Im Türrahmen stand Udo von Hassell. Sein rechter Arm hing entspannt herab, doch seine Finger waren um den Knauf eines kleinen Revolvers geschlossen. Vor Entsetzen war ich völlig gelähmt. Wieso war er nicht mit seiner Familie bei dem Ausflug?
    »Hab ich dich erwischt, Frankie. Ich wusste, du würdest versuchen, dir den Ring zu schnappen«, sagte Udo lässig. »Deswegen hab ich dir gestern im
Ambrosia
auch von dem geplanten Ausflug erzählt. In Wirklichkeit bin ich aber zu Hause geblieben und auch auf deinen Trick, bei mir zu klingeln, nicht reingefallen«, fuhr er träge fort. »Jetzt musst du mir nur noch erklären, wie du den Tresor geöffnet hast!« Ein hässliches Grinsen überzog sein Gesicht wie ein schmieriger Ölfilm.
    Doch es erlosch schlagartig, als ich mich vollends zu ihm umdrehte. Unter meinem T-Shirt zeichneten sich eindeutig weibliche Formen ab, und selbst ein Volltrottel wie Udo musste erkennen, dass es sich bei der maskierten Gestalt nicht um seinen Kumpel Frank handeln konnte. Ich wollte seine Verwirrung nutzen und an ihm vorbeiflitzen, doch trotz seiner Leibesfülle zeigte er sich mit einem Mal erstaunlich behende. Er sprang auf mich zu und bekam meinen Arm zu fassen. Ich wurde zurückgerissen, wobei ich unsanft mit der rechten Schulter gegen den Türrahmen prallte. Ehe ich mich dagegen wehren konnte, riss er mir die Mütze vom Kopf. Wortlos starrten wir uns an. Die Sekunden schienen einzufrieren wie in Laurins unterirdischem Reich. Udos Augen waren weit aufgerissen, alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
    »Emma

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