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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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begannen, schloss ich die Augen. Kurz darauf fühlte ich die Berührung von Jonathans Lippen, die federzart meinen Mund berührten. Lächelnd schlug ich die Augen auf, und wir sahen uns einfach nur an. Wortlos streckte er mir seine Hand entgegen, die ich ergriff. Seine warmen Finger schlossen sich um meine, und mir wurde vor Freude kurz schwindlig, weil ich ihn mithilfe der magischen Rose hatte retten können und er nun hier an meiner Seite war. In stummem Einverständnis schlenderten wir Hand in Hand durch die offene Terrassentür hinaus in den nächtlichen Garten.
    Ich zog die Schuhe aus und spürte unter meinen nackten Fußsohlen die Kühle des Rasens. Irgendwo zwitscherte ein verschlafener Vogel, und die samtige Luft trug den Duft einer Sommernacht mit sich. Diese Mischung aus gemähtem Gras, feuchtwarmer Erde und blühenden Gärten, der einem in die Nase steigt, sobald die Tage wärmer werden, und den man auch nach dem längsten Winter sofort wiedererkennt. »Ein Atemzug genügt, und du könntest vor Glück zerspringen, weil der ganze lange Sommer noch vor dir liegt«, versuchte ich es Jonathan zu erklären. Er nickte.
    »Ich weiß, was du meinst. Wie sehr habe ich mich in der dumpfen Zwergenhöhle nach dem Mond in einer Julinacht und dem Licht des Tages gesehnt. Und dann kamst du und hast mich gerettet«, sagte er. Er hob meine Hand an seine Lippen und bedeckte jeden Fingerknöchel mit sanften Küssen. »Die lange Zeit in der steinernen Finsternis des Zwergenreichs war schrecklich. Aber wenn ich zweihundert Jahre warten musste, um dir zu begegnen, hat sich jede Sekunde gelohnt«, flüsterte er und zog mich an sich. Meine Knie wurden weich, und dann spürte ich schon seine Lippen auf meinen. Noch während wir uns küssten, zog er mich mit sich, und engumschlungen sanken wir ins hohe Gras, das wie grünes Wasser über uns zusammenschlug und unsere Körper verbarg.
    Jonathans Küsse wurden drängender, und er schob mir zärtlich die Träger meines Sommerkleides von den Schultern. Mir wurde bei seinen Berührungen abwechselnd heiß und kalt, wie bei einem Regenguss im Hochsommer. Auch ich wollte so viel von ihm spüren wie nur möglich. Ungeduldig suchte ich nach dem Reißverschluss seines Shirts, und kurz darauf lagen unsere Klamotten wild verstreut im Gras, während wir Haut an Haut lagen, so dass der eine den Herzschlag des anderen wie seinen eigenen spürte.
    Es war ein eigenartiges Gefühl, Jonathans nackten Körper zu berühren, er war mir in diesem Moment gleichzeitig fremd und vertraut. Seine Hände strichen sanft über meinen Rücken, als wäre er ein Bildhauer und wollte sich meine Konturen auf ewig einprägen. Behutsam fuhr er mit der Fingerspitze über das rote Mal auf meiner Schulter, und es war wie eine Heilung. Ich küsste ihn erneut, und obwohl alles mit ihm neu und aufregend war, konnte ich mich ihm doch vertrauensvoll und ohne Angst hingeben. Dass wir uns jetzt und hier lieben würden, war nur die Erfüllung eines Wunsches, den ich schon lange gehegt hatte.
    Ich öffnete die Augen und sah seinen Blick unverwandt auf mich gerichtet. Ich ertrank in dem Blau seiner Augen, während er mich wieder küsste, und seine Fingerspitzen, die auf meiner Haut tanzten, brachten mich zum Schmelzen. Ich hörte auf zu denken und überließ mich ganz und gar Jonathans Leidenschaft. Es gab keine Zeit mehr, Sekunden verschmolzen mit Minuten, und nichts außer Jonathan und mir war mehr wichtig. Bald würden die Stunden zwischen Mitternacht und Mittag uns wieder trennen, doch nicht einmal Laurins Fluch konnte uns diese eine Stunde in Menschengestalt nehmen. Ich schmiegte mich an Jonathan und legte meine Lippen auf das hellrote Mal in Form einer Rabenfeder. »Zeig mir, wie man fliegt«, flüsterte ich. Eine reißende Woge erfasste mich und warf mich nach oben. Ich hatte das Gefühl, mich aufzulösen, unsere Körper ließen sich treiben, schwerelos und eingefangen in unserem eigenen Zauber, der uns mit sich forttrug. Wir bewegten uns miteinander, ineinander, bis wir denselben Rhythmus fanden und nicht mehr wussten, wo der eine begann und der andere aufhörte …
     
    Es konnte nicht einmal eine Stunde vergangen sein, dennoch schien es mir wie eine süße Ewigkeit, als wir uns endlich voneinander lösten. An Jonathans Schulter geschmiegt, betrachtete ich traumverloren das Spiel von Schatten der Blätter des nahen Nussbaums, das im Licht des Mondes auf Jonathans Haut spielte.
    Bis mir auf einmal Lilly einfiel. Sie hätte

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