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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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sie.
    »Notarzt?«, echote ich. Langsam verstand ich gar nichts mehr.
    »Vielleicht berichtest du von Anfang an«, schlug Jonathan ruhig vor. Lilly hob die Hände.
    »Sorry, ich bin auch noch ziemlich neben der Spur. Also, ich bin bei ihm vorbeigeradelt und habe sein Auto in der Einfahrt stehen sehen. Vorsichtshalber hab ich aber geklingelt, um ihn vor Udo von Hassell zu warnen. Spindler kam auch an die Tür, aber … meine Güte, sah der käsig aus«, sprudelte sie hervor.
    »Ich habe ihm erst mal Tee gemacht und ihn dann so lange mit Fragen gelöchert, bis er zugab, Schmerzen zu haben. Links. Und den Arm konnte er auch nicht mehr heben. Da habe ich aber pronto die 112 gerufen!«
    »Du hast sofort gewusst, was los ist?«
    »Hey, meine Ma ist Ärztin, schon vergessen? Über die Symptome bei einem Infarkt wusste ich schon in der Grundschule Bescheid!«
    »Wie geht es Spindler jetzt?«
    »Na ja, den Umständen entsprechend, hieß es. Immerhin ist er im Krankenhaus in guten Händen. Die kennen dort meine Mutter, und ich habe gesagt, Herr Spindler ist ein Bekannter von ihr. Bestimmt hat er das Zimmer mit dem schönsten Ausblick. Aber«, jetzt wurde Lilly ernst, »ich hatte anfangs ganz schön Schiss um den alten Herrn«, gab sie leise zu, und ich erkannte, dass sie mit ihren lockeren Sprüchen nur sich und uns die Angst nehmen wollte.
    Stumm griff ich nach ihren Händen und drückte sie. »Das war ganz toll, wie klug und schnell du reagiert hast. Caro … ich meine, deine Mutter wäre stolz auf dich«, sagte ich mit belegter Stimme.
    Jonathan nickte und legte einen Arm um mich und einen um sie. »Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, auf zwei solch wunderbare Menschen wie euch getroffen zu sein.«
    »Hört auf, sofort! Sonst fange ich noch vor Rührung an zu flennen«, schniefte Lilly, und dann mussten wir beide unter Tränen lachen. Jonathan schüttelte grinsend den Kopf. »Frauenzimmer! Wenigstens etwas, das sich seit 1787 nicht geändert hat«, murmelte er.
    »Morgen rufe ich im Krankenhaus an und frage, wie es Herrn Spindler geht«, beschloss ich.
    »Ja, aber bitte erst nach elf Uhr vormittags, sonst hört er statt ›gute Besserung‹ nur ›miau‹«, sagte Lilly trocken.
    »Es ist wirklich erstaunlich, junge Dame, wie gelassen du unsere Verwandlungen nimmst«, stellte Jonathan fest.
    »Hast du dir vielleicht in die Hose gemacht, als du dein erstes Auto gesehen hast?«, parierte sie. »Dass man irgendwann mal mit zweihundert Sachen über eine Autobahn donnert, hättet ihr im finsteren Mittelalter ja wohl auch nicht gedacht, oder?«
    Daraufhin grummelte er nur: » 1787 war das Mittelalter längst vorbei«, aber ich musste ihr insgeheim recht geben. Das Telefonieren ohne Schnur, Computer, mit denen man überall in der Welt alle Informationen in Sekundenschnelle abrufen konnte, Musik, die aus Geräten kam, die kleiner als eine Streichholzschachtel waren – könnte man das nicht auch in gewisser Weise als Zauberei betrachten?
    »Hallo – Erde an Emma! Ich habe dich gefragt, wie ihr nun an den Ring kommen wollt, hinter dem ihr schon die ganze Zeit her seid?«, riss mich Lillys Stimme aus meinen Gedanken.
    »Wir müssen herausfinden, wo Udo ihn versteckt hat. Deswegen schleiche ich mich heute Nacht noch einmal zu seinem Haus«, sagte ich entschlossen.
    »Nein«, ertönte es zweistimmig. Jonathan und Lilly waren sich ausnahmsweise mal einig.
    »Keine Sorge«, beruhigte ich die beiden, »mit ziemlicher Sicherheit verwandle ich mich in ein paar Minuten in eine Katze. Ich schleiche nur bis vors Haus, versprochen! Die Nächte sind gerade so warm, da lassen viele die Fenster gekippt. Vielleicht höre ich ja etwas.«
    »Und was, wenn Udo dich erwischt?«, fragte Lilly, und ich hörte die Angst in ihrer Stimme.
    »Ich passe auf. Außerdem – bis der seine Waffe geholt hat, bin ich längst weg. Auf vier Beinen bin ich mindestens dreimal so schnell wie dieser Fettsack«, antwortete ich. »Oder seht ihr eine andere Möglichkeit?«
    »Wir könnten warten, bis es morgens tagt und ich zum Raben werde«, warf Jonathan ein. »In der Luft bin ich weniger sichtbar als eine Katze.«
    »Wir dürfen keine Zeit verlieren«, gab ich zurück. »Udo ist uns auf der Spur, und je eher wir das Versteck des Rings erfahren, desto besser und sicherer für uns alle«, beschwor ich ihn.
    Schließlich nickte Jonathan zögernd, und auch Lilly zuckte seufzend die Schultern. »Geh schlafen«, bat ich sie. »Du hast für heute genug für uns

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