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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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und Spindler getan, und ich möchte nicht, dass du siehst, wie ich zum Tier werde.«
    Kurz blitzte in Lillys Augen die Enttäuschung auf, dann aber zuckte sie mit den Schultern, wobei sie ein Gähnen unterdrückte. »Na gut, aber pass auf dich auf, Miezekatze«, sagte sie, und obwohl ihre Stimme scherzhaft klang, wusste ich, sie meinte es ernst. »Großes Ehrenwort«, versprach ich, und Lilly verschwand mit einem Winken.
    Und so warteten Jonathan und ich auf die hallenden Schläge um Mitternacht. Die Luft, die durch die offenen Fenster strömte, war immer noch außergewöhnlich warm und schwer. Jonathan hatte den Arm um mich gelegt, und unsere verschränkten Finger erinnerten mich daran, was kurz zuvor zwischen uns passiert war …
    Ein Funke glimmte in der Schwärze auf und zog sekundenlang einen winzigen Leuchtschweif hinter sich her. »Eine Sternschnuppe«, flüsterte ich und zeigte nach oben.
    »Dann darfst du dir was wünschen«, wisperte Jonathan, und ich nickte. Das hatte ich längst getan. Ich suchte Jonathans Blick, und in seinen Augen las ich den gleichen Wunsch, den ich stumm in den sternenfunkelnden Nachthimmel geschickt hatte. Und ich nahm mir vor, nicht eher aufzugeben, bis sich der Ring wieder in meinem Besitz befand.
     
    Wenig später schlich ich auf Katzenpfoten durch die Büsche vor Udos Haus und spähte hinüber zu den hell erleuchteten Fenstern. Ich musste gar nicht erst nach einem offenstehenden Ausschau halten, denn schon von weitem konnte ich die füllige Silhouette in einem Korbstuhl auf der Terrasse ausmachen. Eine schmale Gestalt thronte stocksteif neben ihm: Claudia.
    Lautlos huschte ich im Schatten des Gestrüpps ein wenig näher und konnte schon bald ihre Stimmen hören. Claudia klang gereizt, wie immer.
    »… verstehe immer noch nicht, warum du nicht die Polizei geholt hast! Immerhin hat einer der Einbrecher dich niedergeschlagen!«, sagte sie gerade.
    Udo brummte nur etwas Unverständliches. Obwohl ich einige Meter von ihnen entfernt war, konnte ich in dem Glas, das vor ihm stand, den Alkohol riechen. Gerade griff er mit der rechten Hand danach, während er mit der linken einen Eisbeutel an seine Schläfe drückte, dort, wo ich ihn mit der Karaffe erwischt hatte.
    »Bist du ganz sicher, dass sie nichts geklaut haben?«, bohrte sie weiter.
    »Nein, sie haben nichts mitgenommen. Obwohl ich ihnen extra von unseren beiden Kindern erzählt habe«, erwiderte er bissig.
    »Du bist und bleibst geschmacklos, sogar, wenn du eins über die Rübe bekommen hast«, fauchte Claudia.
    Mich wunderte nur, wieso sie das erst jetzt merkte. Udo schnaubte. »Seit wann hast du denn Geschmack? Wenn du keinen Stilberater hättest, würdest du herumlaufen wie die Zwillingsschwester von Cindy aus Marzahn!«
    »Vielleicht hätte ich ihn ja vor unserer Hochzeit um Rat fragen sollen! Wahrscheinlich wäre ich dann nicht verheiratet. Jedenfalls nicht mit dir.«
    »Tja,
Schatz,
aber ohne mich und mein Geld könntest du dir gar keinen Stylisten leisten. Geschweige denn diese ganzen teuren Fummel!«
    Daraufhin herrschte feindseliges Schweigen, und ich schüttelte mich. Trotz meines Katzenfells fror ich von der Eiseskälte, die von diesem Paar ausstrahlte. Schließlich stand Claudia auf und stolzierte ins Haus, wobei sie etwas murmelte, was wie »noch mal nach den Kindern sehen« klang.
    Udo sah ihr nicht einmal nach, sondern griff erneut nach seinem Glas und trank den Inhalt mit einem einzigen Schluck aus. Er hatte es gerade zurück auf den Tisch gestellt, da ertönte eine gedämpfte Melodie aus der Tasche seinen Sakkos, das über der Stuhllehne hing. Er griff danach und holte sein Handy heraus.
    »Frank. Was gibt’s?«
    Gedämpftes Gemurmel am anderen Ende der Leitung ertönte, das nicht einmal ich mit meinen scharfen Katzenohren verstehen konnte. Udo verzog unwillig das Gesicht.
    »Was soll das heißen, es gibt Probleme? Mann, du solltest unseren alten Lehrer finden, der wahrscheinlich sogar im Telefonbuch steht. Was ist daran so schwer?« Ich zuckte zusammen. Er hatte tatsächlich keine Zeit verloren, sondern seinen Kumpel auf Spindler angesetzt. Es war beinahe ein Glück, dass der alte Mann im Krankenhaus und damit in Sicherheit war. Und da Udo weder Caro noch Lilly kannte, würden auch wir vor Frank vorerst sicher sein.
    Udo lauschte, dann wurde seine Stimme schärfer.
    »Verdammt noch mal, was soll das heißen, verschwunden? Niemand verschwindet einfach! Du wirst morgen noch mal bei dem Alten vorbeigehen, sonst

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