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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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für die folgenreiche Clubnacht im
Ambrosia.
     
    Derart aufgedonnert stöckelte ich eine halbe Stunde später in das Vorzimmer von Udos Kanzlei. Eine dunkelhaarige Frau, vielleicht fünf- oder sechsundzwanzig, hob bei meinem Eintritt den Kopf.
    »Hallo«, sagte ich freundlich. »Ich bin die neue Praktikantin für Herrn von Hassell von der Juristischen Fakultät der Universität Passau.«
    Lilly hatte extra im Internet recherchiert, welchen Ort ich für mein angebliches Jurastudium am besten angab. Das professionelle Begrüßungslächeln der jungen Frau verrutschte etwas, und ihre Augen wurden schmal. Sie war ganz auf mich fixiert, weshalb ihr der schwarzgefiederte Schatten draußen vor dem Fenster entging, der hinter ihrem Rücken elegant und lautlos auf dem Sims landete.
    »Davon weiß ich nichts«, bellte sie.
    Ich strahlte sie an. »Das macht nichts. Ich wusste auch nicht, dass Herr von Hassell schon eine Praktikantin hat.«
    »Ich bin seine persönliche Assistentin!«, fauchte sie. »Im Übrigen informiert er mich über alles!«, setzte sie hinzu und nahm ihre rotlackierten Krallen von der Tastatur, um sich auf ihrem Bürostuhl nun vollends zu mir umzudrehen. Feindselig musterte sie mich von den Pumps bis zu meinem Lächeln, das genauso falsch war wie die Perlen.
    »Wenn das so ist, hat er Ihnen bestimmt von meinem Praktikum erzählt! Meine Mutter ist nämlich mit Herrn von Hassell und seiner Frau Claudia zusammen in die Schule gegangen. Direkt nach dem Abi hat sie mich dann bekommen, aber der Kontakt ist nie abgerissen. Bei Udo und Claudia hat es mit dem Kinderkriegen ja etwas länger gedauert, aber Linus und Karla sind wirklich süß, finden Sie nicht?«
    Jetzt schluckte sie. »Sie kennen Udo, äh, Herrn von Hassell privat …?«
    »Aber klar, sonst hätte er mir das Praktikum doch nicht angeboten. Er hat extra meine Mutter angerufen und gefragt, ob ich in den Semesterferien nicht bei ihm arbeiten will!«
    Die Sekretärin nestelte nervös an dem Kragen ihrer Seidenbluse, die sicher ein Heidengeld gekostet hatte, genau wie die restlichen Klamotten, die sie trug.
    »Ja, also, wenn das so ist …«, stotterte sie, und ihre Selbstsicherheit schien wie fortgeblasen zu sein. »Aber U… – ich meine Herr von Hassell – ist bei Gericht«, versuchte sie einen letzten Protest.
    »Oh, das macht nichts! Er hat heute Morgen am Handy gesagt, ich kann in seinem Büro auf ihn warten«, erwiderte ich lächelnd. Unauffällig machte ich Jonathan ein Zeichen, und er erhob sich in die Lüfte.
    »Wer sind Sie, Monica Lewinsky?«, fuhr die Assistentin mich impulsiv an. Ich zog die Augenbrauen hoch, weil ich keinen Schimmer hatte, wovon sie redete.
    »Ich meine, in seinem Büro geht nicht!«, sagte sie energisch. »Sie können hier warten.«
    »Gut«, antwortete ich und nahm so elegant wie möglich auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch Platz. Ich versuchte, gelassen zu wirken, dabei zählte ich im Geiste die Sekunden, die Jonathan brauchen würde, um zu Lilly zu fliegen, die vor dem Eingang des Gebäudes wartete, und einmal um ihren Kopf zu kreisen – das vereinbarte Signal für den ersten Teil unseres Plans. In diesem Moment klingelte das Telefon. Mein Herz fing an, schneller zu klopfen.
    »Kanzlei von Hassell und Partner, Lena Kleiber, was kann ich für Sie tun?«, ratterte die Assistentin herunter.
    Ich ballte die Hände zu Fäusten und spürte, wie meine Wangen vor Aufregung zu glühen anfingen. Hoffentlich war es Lilly, und ihr Trick würde funktionieren.
    Das Gesicht der Sekretärin verzog sich vor Entsetzen, und in diesem Augenblick wusste ich, dass es geklappt hatte.
    »Wie – angefahren?«, kreischte sie. »Das ist der Maserati vom Chef!« Sie griff nach einer Papiermappe und fächelte sich Luft zu. Entweder war sie ein Fan der Oper »Madame Butterfly«, oder sie hatte naturgemäß einen Hang zum Theatralischen.
    »Nein. Sie werden sich nicht aus der Tiefgarage rühren, bis ich da bin, verstanden?«
    Erstaunlich behende, wenn man ihre Neun-Zentimeter-Absätze bedachte, sprang sie von ihrem Drehstuhl und stürmte nach draußen. Offenbar hatte sie im Schock sogar meine Anwesenheit vergessen. Zwei Sekunden lang starrte ich ihr völlig paralysiert nach und konnte es kaum fassen, wie einfach es gewesen war, sie nach draußen zu locken. Dann aber riss mich ein energisches Klopfen in die Wirklichkeit zurück. Jonathan saß auf dem Fensterbrett und hackte mit dem Schnabel gegen die Scheibe.
    Ich rannte zum Fenster und riss

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