Die gestohlene Zeit
sofort«, sagte ich und flitzte hinaus in den Flur. Als sich die Türen des Aufzugs hinter mir schlossen, wurde mir einen Moment lang schwindlig vor Erleichterung. Jetzt, nachdem die Anspannung nachließ, klapperten mir ganz schön die Zähne. Aber im Erdgeschoss angekommen überwog das Glücksgefühl. Wir hatten es geschafft! Jetzt konnten wir uns auf den Weg in die Berge machen, um Laurin seinen Schatz zurückzubringen und die Einlösung seines Versprechens einzufordern, das er damals auf seinem Thron gegeben hatte: demjenigen, der ihm den Ring wiedergab, drei Wünsche zu erfüllen.
Beschwingt lief ich durch die gläserne Eingangstür des riesigen Foyers, die lautlos und automatisch zurückglitt. Am liebsten wäre ich den Weg entlanggetanzt, der zu Caros Haus führte, in dem Lilly, Jonathan und ich uns vor Udo versteckt hatten. Aber nicht mehr lange. Bald würde ich dem Herrscher der Zwerge seinen Ring zurückbringen, und dann musste er mich freigeben. Und auch Udo könnte mir nichts mehr anhaben, dafür würde ich mit einem Wunsch sorgen.
Draußen wartete schon der Rabe und kam mit freudigem Krächzen angesegelt.
»Los, wer zuerst am Ende der Straße ist«, rief ich übermütig und rannte los. Natürlich hatte ich gegen Jonathan, der mich lässig in der Luft überholte und sogar noch einen Looping drehte, keine Chance.
Lachend sah ich zu ihm hoch. Jetzt konnte ich es nicht mehr erwarten, mit ihm zusammen zum Karerpass aufzubrechen. Von dort aus führte der kürzeste Weg zu Laurins Rosengarten, das hatte ich inzwischen mit Lillys Hilfe im Internet berechnet. Alles würde gut werden, davon war ich fest überzeugt.
Genau das sagte ich auch Lilly, die an der Straßenecke auf mich wartete und mir stürmisch um den Hals fiel, als ich sie einen Blick in die Clutch werfen ließ, in deren Innenfutter der Ring sanft und harmlos schimmerte. Zu meiner Verwunderung hatte Lilly keinerlei Verlangen, ihn herauszunehmen oder ihn gar über den Finger zu streifen.
»Wieso sollte ich? Ich mag mein Leben, so wie es ist, und muss mich nicht toller fühlen als jetzt«, sagte sie unbekümmert. Dann hakte sie mich unter, und übermütig hüpften wir ein paar Schritte um die Ecke, und Jonathans Krächzen klang, als würde er lachen.
Hätte ich mich nur einmal umgeblickt, dann hätte ich den dünnen, schäbig gekleideten Mann auf der Straße stehen sehen, der soeben aus einem Taxi gestiegen war und uns wie vom Donner gerührt nachstarrte.
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Kapitel 22
U nd daher, sehr verehrtes Gericht, Herr Vorsitzender Richter, beantrage ich für meinen Mandanten Freispruch. Sie haben die Zeugen gehört. Jedenfalls diejenigen, die hier im Saal erschienen sind«, sagte Udo und erntete für seine letzte Bemerkung ein beifälliges Grinsen von Holger. Der saß zwar auf der Anklagebank, doch er wirkte, als befände er sich im Club Tropicana irgendwo auf den Balearen. In seinem weißen Anzug samt fliederfarbener Krawatte hing er lässig auf dem hölzernen Sitz, und sein überhebliches Grinsen hatte sich nach jedem gehörten Zeugen vertieft. Kein Wunder, waren sie doch alle perfekt bestochen worden. Und die einzige Zeugin, die Holger hätte belasten können, war nicht erschienen. Wahrscheinlich saß sie in irgendeinem schäbigen Pensionszimmer und machte sich vor Angst fast in die Hose.
Mit einem einvernehmlichen Blick zu Holger klappte Udo seine Mappe zu und setzte sich.
Doch plötzlich mischte sich in sein Triumphgefühl eine Art Magengrummeln. Seine Knie wurden weich, und kurz schien sich der Gerichtssaal um sich selbst zu drehen. Die Gesichter von Holger, dem Richter und der Staatsanwältin verschwammen sekundenlang vor Udos Augen. Dann war der Schwindel vorbei, aber ein Gefühl der Schwäche blieb. Vielleicht sollte er sich kurz entschuldigen und draußen einen Schluck aus dem Flachmann nehmen, den er in einer edel-silbernen Flasche stets im Seitenfach seiner Aktentasche mit sich trug?
Doch die Worte der Staatsanwältin hielten ihn auf seinem Platz. Die Kollegin hatte im Laufe der Verhandlung gewirkt, als würde man langsam die Luft aus ihr herauslassen. Mit jeder Aussage zugunsten Udos Mandanten war sie mehr geschrumpft. Und die Information, die Hauptbelastungszeugin wäre nicht auffindbar und hätte schriftlich ihre Aussage zurückgezogen, schien ihr den Rest zu geben. Auf einmal jedoch wurde sie wieder lebendiger.
»Ich habe noch ein paar Fragen an die Zeugen«, sagte sie und stand auf, um die beiden Männer scharf ins Visier zu
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