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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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einer modischen Lederleggins steckten, die Udo bezahlt hatte, genau wie die nudefarbene Seidenbluse, kicherte.
    »Wieso so förmlich, Chef?«, neckte sie ihn. »Das klang aber vor ein paar Tagen noch anders, als wir …«
    »Die Akte. Jetzt!«, unterbrach Udo sie rüde und verschwand in seinem Büro. Er hatte inzwischen wahrlich andere Sorgen als eine verknallte Sekretärin. Wütend und verletzt starrte Lena ihm nach, ehe sie murrend eine Rollschublade des Aktenschranks aufzog und mit ihren rotlackierten Nägeln die Hängeordner unter dem Buchstaben »H« durchblätterte. Ein Klopfen unterbrach ihre Grübeleien, und sie blickte auf. Zwei kräftige Männer in braunen Overalls, auf deren Brusttaschen »Security 4  Save« aufgestickt war, standen in der Tür. Auf einer Sackkarre zwischen ihnen befand sich ein kleiner, aber massiv wirkender Tresor.
    »Zum Chef?«, sagte der eine und musterte wohlwollend Lenas schlanke, lederbekleidete Beine, während der andere mit seinem Blick eine Etage höher andockte.
    »Moment, ich melde Sie an«, erwiderte sie hochnäsig, aber ehe sie noch den Telefonhörer abnehmen konnte, wurde die Tür zu Udos Büro aufgerissen, und der Chef höchstpersönlich erschien.
    »Wo bleiben Sie denn! Ausgemacht war elf, und Sie lassen mich eine geschlagene Stunde warten!«, blaffte er die Security-Männer an, und mit dieser ausnehmend freundlichen Begrüßung winkte er die beiden in sein Büro.
    Für Lena hatte er kein Wort übrig. Beleidigt setzte sie sich wieder an ihren PC und ging aus Rache erst mal ins Internet zu ihrem privaten Facebook-Account. Udo konnte ruhig noch ein bisschen auf seine Akte warten, er hatte ja sowieso scheinbar Wichtigeres im Kopf als den Prozess – oder seine Assistentin. Völlig vertieft in ihre neuesten Facebook-Nachrichten, sah sie den schwarzen Raben nicht, der an ihrem Fenster vorbeisegelte. Und selbst wenn Lena ihn bemerkt hätte, wäre ihr nicht im Traum eingefallen, dass dieser Vogel kein gewöhnliches Tier sein könnte und etwas im Schilde führte.
    Das nächste Fenster war gekippt, und durch die Scheibe erblickte Jonathan den Mann, der Emma hatte töten wollen und dabei auch ihn beinahe erschossen hätte. Er stand mit dem Rücken zum Fenster. Neben ihm machten sich zwei gedrungene Männer an einem mattsilbernen Kasten zu schaffen, ähnlich dem, der sich auch in der Wandnische von Udos Haus befunden hatte. »Der VDMA D 10 , definierter Einbruchsschutz und begrenzter Schutz gegen Brände …«, leierte der eine herunter, während der zweite stumm danebenstand.
    »Jaja, ich weiß«, antwortete Udo gereizt. »Ich brauche Sie nicht mehr, vielen Dank!«
    »Nicht so hastig! Sie müssen den Sicherheitscode ausprobieren, damit wir sehen, ob er funktioniert«, wandte der eine Overallträger ein und übergab Udo einen verschlossenen Umschlag. Jonathan hörte den dicklichen Anwalt gereizt schnauben.
    »Meinetwegen. Aber Sie gehen raus. Lassen Sie sich von meiner Sekretärin einen Kaffee geben«, wies er die beiden an. Nachdem sie durch die Tür verschwunden waren, riss Udo den Umschlag auf und überflog den Geheimcode für den Safe. Die Zahlen vor sich hin murmelnd, drückte er langsam und sorgfältig mit seinem dicken Zeigefinger die entsprechenden Ziffern auf der Schaltfläche in der Mitte der Tresortür. Für den gefiederten Beobachter draußen vor dem Fenster war es ein Kinderspiel, sich die Kombination zu merken.
    Am Safe blinkte ein grünes Licht auf, und mit einem langgezogenen Piepton sprang die Stahltür auf. Mit zwei Schritten war Udo aus seinem Büro.
    »Funktioniert! Sie können gehen, den Betrag weise ich an«, rief er den Männern zu und hielt ihnen jeweils einen Zehner Trinkgeld hin. Zufrieden zogen die beiden ab.
    Ohne Lena zu beachten, kehrte Udo zurück in sein Büro. Sorgfältig schloss er die Tür ab, dann griff er in die Innentasche seines Anzugs und förderte eine schmale, schwarze Schachtel zutage. Er klappte den Deckel zurück, und obwohl sein breiter Rücken den Inhalt verbarg, spürte der Rabe sogar durch die Glasscheibe hindurch, dass etwas Besonderes im Gang sein musste. Die Luft im Raum schien dichter zu werden und beinahe zu vibrieren. Selbst die Glasscheibe wirkte merkwürdig aufgeladen, als stünde sie unter hohem Druck. Da klappte Udo den Deckel wieder zu, und der Eindruck wurde schwächer.
    Langsam und beinahe feierlich legte er das samtschwarze Kästchen in den Tresor und schloss die Tür. Er zögerte eine Sekunde, dann wiederholte er

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