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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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ehrfürchtig gesprochen hatten, gegenübertreten sollte. Immerhin hatte ich einfach auf die Frage »Ist
sie
es?« locker-flockig mit ja geantwortet. Aber welche Person war damit eigentlich gemeint? Und wer war der Herrscher der Zwerge? Etwa Laurin, wie es die Legende besagte? Aber das konnte nicht sein – es war doch nur eine jahrhundertealte Sage. War es vielleicht sein Nachfahre? Hatten Zwerge überhaupt Kinder? Enkel? Ich kam zu dem Schluss, dass mir die Ahnengalerie Laurins eigentlich völlig egal war. Wichtig war nur, dass ich so schnell wie möglich wieder aus dem Berg herauskam.
    Vorerst bestand jedoch nicht der Hauch einer Chance, denn ich hing im Griff zweier kräftiger Zwerge, die jeden Fluchtversuch meinerseits gnadenlos unterbinden würden. Der Rest der Truppe lief entweder hinter uns, oder sie bewachten den Eingang zu der Felshöhle, falls es mir doch gelingen sollte zu fliehen. Doch selbst wenn ich mich aus dem Griff meiner Bewacher hätte befreien können, wäre ich ohne ihr Licht, so schwach es auch glimmte, in der undurchdringlichen Finsternis des Stollens verloren gewesen. So blieb mir nichts anderes übrig, als immer weiter ins Innere des Berges vorzudringen, dorthin, wo mich der Herrscher über das Zwergenreich und wer weiß welches Schicksal erwarten würde.
    ***
     
    »Erbarmen, Herr«, winselte der Zwerg und warf sich demütig auf die Knie. Doch der König dachte nicht daran, das Flehen zu erhören.
    »Du hast es gewagt, mich zu bestehlen! Oder wie sonst kam der Ring aus meiner Schatzkammer in deine dreckigen Finger?«
    Vier Untertanen aus dem Volk des Königs, die den Beschuldigten umringten, traten und schlugen ihn, aber er blieb stumm. Doch der Herrscher wusste auch so, was er geplant hatte. Mit dem Besitz des magischen Goldringes hatte ihn der aufrührerische Untertan vom Thron stürzen und die Krone an sich reißen wollen. Er musste herausgefunden haben, welche Zauberkräfte der Schmuck besaß und wie viel Macht er seinem Träger verlieh.
    »Gib mir den Ring zurück! Dann werde ich entscheiden, wie deine Strafe ausfällt«, donnerte der Zwergenkönig.
    »Majestät, der Ring … ich habe ihn verloren«, hauchte der angeklagte Wicht.
    »Du lügst«, schrie der Herrscher, doch eine dunkle Angst überfiel ihn. Der Schmuck war eines der kostbarsten Zauberdinge aus seiner Schatzkammer, und sein Verlust wäre für ihn unermesslich.
    »Ich wollte den Ring nur eine kleine Weile in der Oberwelt verstecken, damit niemand in Eurem Palast ihn fände«, jammerte der räuberische Zwerg. »Doch ich wurde von Menschlingen umzingelt und musste fliehen. Dabei kam er mir abhanden …«
    »Narr!«, brüllte der König wutentbrannt. »Man sollte dich allein für deine Feigheit, vor ein paar elenden Menschlingen zu fliehen, vierteilen und dann aufhängen!«
    »Gnade«, wiederholte der Zwerg jämmerlich, doch das Oberhaupt beachtete ihn gar nicht.
    »Geht und sucht meinen Ring!«, wies er seine Untertanen an. Ein stämmiger Zwerg, dessen Gesicht die Narben trug, die Dietrichs Recken ihm beim Kampf um Similde zugefügt hatten, trat vor.
    »Ich werde in die Oberwelt gehen, Herr«, sagte er. »Und dieser hier kommt mit mir!« Damit wies er auf ein weiteres Mitglied der Leibgarde des Regenten.
    Der König sah sie an. Sie glaubten, einen Ring zu suchen, dessen Gold ihrem Herrn viel bedeutete. Doch niemand außer ihm wusste um die tatsächliche Stärke der Macht, die der Ring demjenigen zuteilwerden ließ, der ihn besaß. Daher musste er ihn wiederhaben, koste es, was es wolle. Fatal genug, dass es einem aus seinem Volk gelungen war, ihn, den König, zu bestehlen.
    Er wandte seinen Blick wieder dem räudigen Dieb zu, der immer noch vor ihm kniete.
    »Und jetzt zu dir, Verräter«, sagte er.
    ***
     
    Auf einmal wurde es heller, und der schmale Tunnelgang, durch den ich bisher halb gebückt hatte laufen müssen, weitete sich zu einer großen, unterirdischen Höhle. Sie war ausschließlich von Fackeln erleuchtet, doch nach dem langen Marsch im Düsteren musste ich bei der plötzlichen Helligkeit dennoch die Augen zusammenkneifen. Sekundenlang sah ich nichts von dem, was sich in dem Felsensaal abspielte. Dafür hörte ich umso deutlicher eine aufgebrachte Stimme.
    »Niemand bestiehlt mich!«, brüllte sie. Offenbar herrschte im Zwergenreich dicke Luft. Der kurze Anflug von Hoffnung, ich könnte die angespannte Stimmung irgendwie nutzen, um zu fliehen, wurde jedoch jäh erstickt.
    »Dieser Ring ist mein, und ich will

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