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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Udo war schon damals unberechenbar gewesen – und kräftig.
    »Ich könnte es versuchen«, meldete sich Spindler zu Wort. Wir blickten ihn überrascht an. »Ich könnte in seine Kanzlei kommen, unter dem Vorwand, seinen juristischen Rat zu benötigen. Vielleicht finde ich ja etwas heraus«, erklärte er. Ich fand die Idee gar nicht schlecht, aber Lilly zog die Augenbrauen hoch und sah nun aus wie die Hauslehrerin Fräulein Rottenmeier im Film
Heidi.
    »Nix gegen Sie, Herr Spindler, aber wie wollen Sie das denn anstellen? ›Hallo Udo, ich bin Ihr Ex-Pauker und wollte mal fragen, wie viel Jahre Knast auf Schmuckdiebstahl stehen? Ach übrigens: Sie haben doch damals dieser Studentin, Emma, einen Ring abgenommen. Verleiht der zufällig magische Kräfte, und wenn ja, wo haben Sie ihn denn versteckt?‹ Ne, sorry, das funktioniert nicht«, ratterte sie herunter. Obwohl sie eine ganz schön dicke Lippe riskierte, schien Spindler nicht verärgert zu sein.
    »Du hast natürlich recht, so einfach wird das nicht gehen«, stimmte er ihr zu.
    »Wir müssten … irgendwie undercover ermitteln«, sagte ich zögernd.
    Da ertönte ein Klopfen am Fenster, und wir zuckten alle drei zusammen. Lilly sprang vom Sofa hoch, dann aber verwandelte sich ihre erschrockene Miene in Überraschung.
    »He, da sitzt ein großer schwarzer Vogel draußen auf dem Fensterbrett«, rief sie.
    Jonathan war es offenbar leid geworden, draußen zu warten, und begehrte nun Einlass, denn er hackte zum zweiten Mal energisch mit dem Schnabel gegen die Fensterscheibe.
    »Er ist zahm und gehört zu mir«, sagte ich schnell, bevor Lilly Anstalten machen konnte, ihn zu verjagen. Mit zwei Schritten war ich um den Couchtisch herum und öffnete einen der Fensterflügel. »Benimm dich ja anständig«, flüsterte ich Jonathan noch schnell zu, ehe er hereinflatterte, um sich auf meiner Schulter niederzulassen.
    »Geil. Einen zahmen Raben hab ich noch nie in echt gesehen«, sagte Lilly beeindruckt. »Hat der auch einen Namen?«
    »Jonathan«, gab ich zögernd zu. Lilly prustete. »Warum hast du ihn nicht gleich Willibald oder Sigmund genannt?«, fragte sie, was Jonathan mit einem gekränkten Schnabelklappern kommentierte.
    »Das ist eine längere Geschichte«, wehrte ich ab. »Aber eins kannst du mir glauben, er ist was ganz Besonderes.« Jonathan krächzte bestätigend, und in diesem Moment hatte ich die rettende Idee.
    »Wir setzen ihn auf Udo an«, rief ich. Die Gedanken rasten in meinem Kopf, und ich fuhr hastig fort. »Als Rabe in der Stadt fällt Jonathan doch kaum auf. Er könnte Udo durchs Fenster seiner Kanzlei beobachten. Vielleicht hat er ja Laurins Ring dort versteckt. Wenn Udo das Fenster mal auflässt, ergibt sich vielleicht für Jonathan sogar eine Chance, ihn im Schnabel mitzunehmen. Und wenn der Schmuck nicht dort ist, folgt Jonathan eben Udo nach Hause!«
    »Sehr gut!«, lobte Spindler erfreut.
    Lilly sah von ihm zu mir und schüttelte den Kopf. »Na klar«, spottete sie. »Der Rabe kapiert auch gleich, was er machen soll, und erstattet euch dann Bericht, oder was? Hat er vielleicht auch noch ein Handy?«
    Ich öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Da ich Lilly nichts von dem Menschen Jonathan und seiner Verwandlung erzählt hatte, musste sie mich und meinen Plan ja für meschugge halten. »Das ist kein gewöhnlicher Rabe. Er versteht, was man ihm sagt«, argumentierte ich, aber es klang etwas lahm.
    »Wo, meinst du, bin ich zur Welt gekommen – auf der Station der doofen Babys?«, fragte Lilly. Sie glaubte mir natürlich kein Wort.
    »Wir versuchen es einfach morgen, einverstanden? Dann sehen wir weiter«, beschwichtigte Spindler.
    Lilly verzog das Gesicht und drückte damit aus, was sie von unserem Plan hielt.
    Ich überlegte fieberhaft, wie ich sie auf unsere Seite bringen könnte, ohne ihr gleich den fluchbehafteten Jonathan auf die Nase zu binden. Ich wollte Caros Tochter nicht doch noch mit zu viel Magie in Angst und Schrecken versetzen. Vielleicht tat sie nur so überlegen, aber ein verzauberter Junge würde ihr schließlich doch den Rest geben, und sie würde anfangen, laut um Hilfe zu schreien.
    Mein Blick schweifte über das Durcheinander von Zeitungen, Pizzaschachteln und Plätzchenpackungen. »Hey, wie wäre es, wenn ich uns ein paar Kekse machen würde?«, fragte ich auf einmal.
    Caro war damals total scharf auf Süßes gewesen, und wenn Lilly nur halbwegs nach ihrer Mutter kam, eröffnete sich hier eine Möglichkeit, mich in

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