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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Wünsche frei, und der erste wird sein, mich für immer in Frieden zu lassen«, beendete ich meinen Monolog.
    Die nächste halbe Stunde fragte Lilly mir beinahe Löcher in den Bauch. Anfangs hatte sie noch heftig an meiner Geschichte sowie meiner Identität gezweifelt. Doch je länger sie die Fotos von mir und Caro betrachtete, desto mehr war sie bereit, mir wenigstens zuzuhören. Schließlich gelang es mir, sie endgültig zu überzeugen, indem ich Einzelheiten aus Caros Leben erzählte, die nur jemand wissen konnte, der mit ihr zur Schule gegangen war und im selben Wohnheim gelebt hatte. Als sie mir endlich glaubte, wollte Lilly aber jedes Detail über die Zwerge und Laurins Felsenreich wissen. Als ich beschrieb, wie hässlich der König war, verzog sich ihr Gesicht, doch bei meinem Bericht, welche Schätze sich in der Höhle befunden hatten, wurden ihre Augen groß. »Mensch, wieso hast du denn nicht wenigstens so ein klitzekleines Diadem, oder wie die Dinger heißen, mitgenommen? Das hätte eine Menge Kohle gebracht«, meinte sie.
    »Nein. Es reicht, was Udo angerichtet hat, indem er Laurins Ring an sich genommen hat. Wegen ihm war ich verletzt und habe mich in diesen Rosengarten verlaufen.«
    Vorsichtshalber hatte ich darauf verzichtet, die Geschichte mit Jonathan und seiner Verwandlung zu erwähnen. Ich dachte, es wäre vielleicht zu viel für ein junges Mädchen, und ich würde Lilly mit dem verzauberten Raben nur ängstigen. Doch sie wirkte eher gespannt als geschockt.
    »Ich habe schon heimlich Horror-DVDs geschaut, da war ich dreizehn«, kommentierte sie meine verwunderte Frage, wieso sie meine Erzählung nach anfänglicher Skepsis jetzt so locker wegsteckte. »Das ist echt die irrste Geschichte, die ich je gehört habe«, fügte sie hinzu, und ihre Augen funkelten vor Unternehmungslust. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann müssen wir nur noch diesen Udo finden und …«
    »Stopp!«, unterbrach ich sie energisch. »
Wir
müssen gar nichts. Udo von Hassell ist ein skrupelloser Typ, der mir den Ring weggenommen und mich verletzt im Gebirge zurückgelassen hat, ohne mit der Wimper zu zucken. Daher hältst du dich da schön raus, das ist viel zu gefährlich für dich!«
    »Ach ja, aber du bist so erwachsen, dass du es locker mit ihm aufnehmen kannst, was?« Angriffslustig funkelte Lilly mich an.
    »Ich hätte dir das alles gar nicht erzählen sollen«, seufzte ich. »Eigentlich wollte ich ja Caro um Hilfe bitten.«
    »Ja, aber die ist die nächsten acht Tage in Bella Italia mit Pasta und Papa und macht dort einen auf Amore«, erwiderte Lilly, und ich glaubte, aus ihrer Stimme einen Hauch Genugtuung herauszuhören. »Wenn dir also einer helfen kann, im Jahr 2014 klarzukommen und deinen ehemaligen Schüler zu finden, ohne gleich aufzufliegen, dann bin ich das!«
    »Wenn die Damen erlauben, dass ich auch etwas dazu sage …«, schaltete sich Spindler mit seinem gepflegten Bariton ein. Lilly und ich fuhren herum. Den älteren Herrn hatte ich vor lauter Eifer ganz vergessen.
    »Wir müssen sehr vorsichtig zu Werke gehen«, mahnte Spindler bedächtig. »Sollte dieser Ring tatsächlich magische Kräfte besitzen, wird Udo von Hassell ihn in Sicherheit gebracht und irgendwo verwahrt haben. Immer vorausgesetzt, das Schmuckstück befindet sich noch in seinem Besitz. Zuerst also müssen wir herausfinden, ob er den Ring noch hat. Und dann, wo dieser sich befindet.«
    »Aber wie wollen Sie das anstellen, einfach reinmarschieren und ihn fragen?«, rief Lilly vorlaut.
    »Udo ist Rechtsanwalt«, schaltete ich mich ein. »Das habe ich mit Hilfe des Internetz herausgefunden.«
    »Inter
net
heißt das«, grinste Lilly.
    »Allein das lässt mich an die Magie dieses Rings glauben«, murmelte Spindler. »Udo war bis zur zwölften Klasse alles andere als ein Einserschüler. Aber zu unser aller Überraschung schaffte er ein glänzendes Abitur und absolvierte anschließend sein Jurastudium mit
cum laude.
«
    »Sag ich doch. Der Ring verleiht offenbar Zauberkräfte«, bemerkte ich.
    Lilly sah mich an, und ich meinte, in Caros dunkle Augen zu blicken. »Jetzt weißt du zwar, wo der Typ arbeitet, aber das nützt dir nichts. Er hält dich für tot, das heißt aber noch lange nicht, dass er dich nicht wiedererkennt. Am Ende bekommt er Panik und flippt aus. Und dann … krrchh!« Um zu demonstrieren, was sie meinte, griff sich Lilly mit beiden Händen an den Hals und ließ die Zunge aus dem Mund hängen. Ich nickte nachdenklich.

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