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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Uhr, und jeder Ton hallte in meinem Inneren verzerrt und endlos wider, während mein Körper erst in die Länge gezogen wurde wie ein Gummiband, das dann urplötzlich zurückschnellte. Ich wollte schreien, aber nur ein dünner Laut kam aus meiner Kehle, ähnlich dem Miauen eines neugeborenen Kätzchens. Der Schmerz war unsäglich, und ich krallte die Hände in den Teppichboden.
    Nur hatte ich keine Fingernägel mehr, sondern kleine, spitze Krallen. Und anstatt meiner Hände sah ich auf ein Paar pelzige Pfoten herab. Voller Entsetzen sprang ich fast einen halben Meter in die Luft – und landete weich auf allen vieren. Panisch drehte ich den Kopf und erblickte mein Bild in dem gläsernen Wandschrank von Caros Wohnzimmer. Und nun wusste ich, warum sich mein Körper so anders anfühlte und meine Hände verschwunden waren. Was mir aus dem Glas entgegensah, war nicht das Spiegelbild der einundzwanzigjährigen jungen Frau, die ich bis vor kurzem noch gewesen war. Sondern das einer rotgescheckten Katze.

[home]
    Kapitel 11
    W ie ein verwundetes Tier lag er auf dem feuchtklammen Felsenboden. Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein, seit Similde ihm entkommen war, vielleicht ein paar Sekunden oder Minuten. Nur langsam ließ der rotglühende Schmerz in seinen Eingeweiden nach. Stöhnend rollte sich Laurin auf den Rücken. Kein menschliches Wesen hätte das Gift des Roten Fingerhutes überlebt, doch obwohl die Kräfte der Zwerge fast übermächtig waren, hatte sich der Herrscher noch nie so elend gefühlt. Es kostete sogar Kraft, überhaupt die Augen zu öffnen. Brennender Durst veranlasste ihn, auf allen vieren ein Stück zu der Felswand zu robben, von der die Feuchtigkeit perlte. Mit seiner Zunge, die vom Gift immer noch beinahe schwarz war, leckte Laurin ein paar Tropfen auf. Das Wasser, das sich seinen langen Weg durch die Dunkelheit im Berg gebahnt hatte, ehe es hier unten vom Stein tränte, war eine Heilung.
    Langsam ging es dem König der Zwerge besser, so dass er sich aufrappeln und den lichtlosen Stollen hinunter in die Felsenhalle taumeln konnte. Dort, wo kurz zuvor seine Untertanen noch getafelt und gefeiert hatten, bot sich nun ein Bild des Elends. Die meisten der Zwerge lagen in ihrem Erbrochenen, viele von ihnen stöhnten vor Schmerzen, wobei sie gelblich-grünen Schaum vor dem Mund hatten. Nur eine Handvoll seiner Untertanen hatte es geschafft, wieder auf die Beine zu kommen.
    Mit gewaltiger Kraftanstrengung gelang es Laurin, sich an die Worte einer uralten Zauberformel zu erinnern. Bläulicher Nebel waberte aus seinen Fingerspitzen und begann, über den felsigen Boden zu kriechen. Ähnlich einer wärmenden Decke breitete er sich über die Zwerge, die sich am Boden krümmten. Laurin murmelte beständig in einer Sprache, die in der Oberwelt längst vergessen war. Endlich regten sich seine Untertanen, und ein Gnom nach dem anderen rappelte sich auf. Obwohl alle noch sehr schwach waren, erlangten sie allmählich ihre Kräfte zurück. Nur bei Hugbert, der Similde verfolgt hatte, jedoch von dem zweiten Menschling mit einem Felsbrocken außer Gefecht gesetzt worden war, schien alle Mühe vergebens. Zwar stand sein Mund mit den blutigen Zähnen halb offen, doch alle Versuche, ihn wieder zum Leben zu erwecken, scheiterten. Laurin zog eins seiner Augenlider nach oben, und als er die verdrehte Pupille sah und das Weiß des Augapfels, das sich in ein dunkles Gelb verwandelt hatte, wusste er: Für diesen seiner Untertanen würde es keine Hilfe mehr geben. In seiner verkrampften Faust hielt er jedoch etwas, das die Augen Laurins aufleuchten ließ. Behutsam bog der König die totenstarren Finger seines Untertanen auseinander und musterte die rotgoldene Strähne, die in Hugberts Faust zurückgeblieben war. Simildes Haare würden ihm noch nützlich sein, sehr nützlich! Sorgsam nahm Laurin die Locke seiner entflohenen Braut an sich und steckte sie in die Tasche seines Brokatwamses.
    Da ertönte hinter seinem Rücken ein Wehklagen: Sarhild kniete neben einem verkrümmten Bündel, das in einer düsteren Ecke lag. »Sie ist tot«, hallte ihre Stimme durch die steinerne Halle und wurde von den Felsenwänden als vielfaches Echo zurückgeworfen. »Friederun ist tot, und schuld ist dieses verdorbene Menschenweib!«
    Laurin wandte seine brennenden Augen nach oben, dort, wohin seine Braut entkommen war. Schweigend wandte er sich ab und schlurfte aus dem Saal. Ein paar Meter weit ging es durch einen niedrigen, finsteren Gang, doch der

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