Die gestohlene Zeit
Krallenhieb untermalt hatte, den der Stoff der Jeans diesmal nicht ganz dämpfen konnte, wie ich seinem schmerzhaften Aufschrei entnahm, stimmte er schließlich zu.
»Jedoch erst morgen früh. In der Nacht ist es unwahrscheinlich, dass man eine herrenlose Katze ins Haus lässt, und du würdest wahrscheinlich sowieso nichts erfahren, da alles schläft«, entschied Jonathan. Wohl oder übel musste ich mich damit zufriedengeben.
»Wir sollten schlafen gehen. Morgen werden wir unsere Kräfte brauchen«, entschied Jonathan. Ich sah ihn an. Würde er nun aus dem Zimmer gehen und mich zurücklassen? Ich hatte zwar die Gestalt einer Katze, in meinem Herzen war ich jedoch immer noch eine Frau. Und die sehnte sich danach, heute Nacht nicht allein zu bleiben. Ich fürchtete mich vor meinen Träumen, die meine dunkle Nacht noch schwärzer färben würden und in denen der Zwergenkönig mit seinen vom Gift bläulichen Fingernägeln an der Tür von Caros Haus kratzte, um sich seine Braut zurückzuholen.
Jonathan machte einen zögernden Schritt zur Tür. Seine Hand lag schon auf der Klinke, da drehte er sich zu mir um, und ich sah sein schiefes Lächeln, in dem ebenso viel Unsicherheit lag, wie ich fühlte.
»Es würde mich wirklich sehr freuen, wenn du mir Gesellschaft leisten würdest«, sagte Jonathan förmlich. »Natürlich nur, wenn du es wünschst«, fügte er hastig hinzu. Statt einer Antwort sprang ich voraus und schlängelte mich durch den Türspalt.
Obwohl wir beide müde waren, war an Einschlafen nicht zu denken. Abgesehen davon, dass mich eine gewisse Scheu davon abhielt, einfach zu Jonathan ins Bett zu hüpfen, auch wenn ich eine Katze war, fühlte ich mich einfach noch zu fremd in diesem pelzigen Körper, um Ruhe zu finden. Der Gedanke, was wäre, falls ich nie wieder zum Menschen werden durfte, drängte sich beharrlich immer wieder in mein Bewusstsein.
Jonathan verzog sich ins Bad, knielange Shorts und ein T-Shirt unter den Arm geklemmt, das Lilly von ihrem Vater gemopst hatte, damit Jonathan es zum Schlafen anziehen konnte. Zusätzlich hatte sie ihm noch eine Zahnbürste zugesteckt und ihm den Verwendungszweck erklärt. Er war total fasziniert gewesen.
Ich blickte ihm nach und spürte ein sehnsuchtsvolles Ziehen im Herzen. Ich wollte ihn berühren und mich an ihn schmiegen, aber nicht wie ein zahmes Haustier, sondern so, wie eine Frau einen Mann berührt und umarmt. Obwohl ich bisher noch nicht viel über ihn wusste, brachte er doch in mir eine Saite zum Klingen, von deren Existenz ich vorher nichts gewusst hatte. Aber wenn ich eine Katze bleiben musste, was würde dann werden? Sollte ich zusehen, wie Jonathan irgendwann die Hoffnung verlor, ein anderes Mädchen kennenlernte und sich in sie verliebte?
Unruhig tigerte ich bei diesem Gedanken im Zimmer auf und ab. Jonathan kam wieder zurück, in der Hand die Zahnbürste und auf den Lippen letzte Reste von Zahnpasta. »Das ist ein ganz wunderbarer Fortschritt«, sagte er begeistert, um gleich darauf erklärend fortzufahren: »Zu meiner Zeit hat man sich die Zähne mit kleinen Lappen gereinigt … wenn überhaupt. Meine Amme hat bei mir jedoch stets darauf bestanden, und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Blieb mir doch bisher der Bader mit seiner Zange erspart!«
Ich wurde neugierig. Bisher hatte ich kaum eine Ahnung, wie es im 18 . Jahrhundert so zugegangen war. Natürlich waren wir im Geschichtsunterricht mit allen möglichen Königen, Kriegen und Ähnlichem gefüttert worden, aber das alltägliche Leben der Menschen früher war dort kaum gestreift worden.
Ich versuchte, ihm gedanklich die Bitte zu übermitteln, etwas mehr von seinem Leben damals zu erzählen. Er runzelte die Stirn und schien zu zögern. Seine Miene verriet ein gewisses Unbehagen, schließlich aber ließ er sich aufs Bett sinken und seufzte.
»Hier in dieser Zeit ist alles so … komfortabel und sauber. Allein diese Bettauflage! Zu meiner Zeit beklagten sich die Leute oft über Bettwanzen oder Flöhe, die sie plagten.«
Ich schüttelte mich bei dem Gedanken. Hoffentlich blieb ich als Katze von diesem Viehzeug verschont!
Jonathan lächelte. »Zum Glück hatte eine meiner Gouvernanten dafür ein Rezept und legte regelmäßig irgendwelche getrockneten Pflanzen aus. Zudem riet sie mir auch zu wöchentlichen Bädern. Sie schwor, diese wären keinesfalls gesundheitsschädlich und weichten die Haut auch nicht von innen auf, wie oft behauptet. Im Gegenteil, sie schützten vor Krankheiten und
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