Die gestohlene Zeit
»Ich bin dann mal in der Küche und kümmere mich um die Getränke. Emma kann mir ja beim Kochen helfen – später.« Damit verschwand sie.
Ich sah ihr nach, doch Jonathan hatte nur Augen für mich. »Ich bin so froh«, murmelte er und nahm mein Gesicht behutsam zwischen die Hände. Er sah mir tief in die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht glauben, welches Glück uns hold ist! Laurins Fluch hat auch bei dir nur einige Stunden angehalten, und nun sind wir beide erlöst!« Ich nickte und schmiegte mich in Jonathans Arm.
»Zum Glück musste ich keine Katze bleiben«, murmelte ich, die Wange an seine Schulter gedrückt. »Stell dir vor, ich habe wahrscheinlich Udos Versteck entdeckt, in dem er Laurins Ring aufbewahrt. Aber der Schmuck liegt in einem gesicherten Tresor, und man muss eine Zahlenkombination eingeben, um die eiserne Tür zu öffnen«, erklärte ich.
»Ist es dir gelungen?«, wollte Jonathan wissen, der wahrscheinlich noch nie etwas von einem Safe gehört hatte.
Ich schüttelte den Kopf. »Aber das ist jetzt auch nicht mehr wichtig«, sagte ich und blickte ihn an. »Ich bin wieder Emma, und nun brauche ich den Ring ja auch nicht mehr.«
»Nein«, sagte Jonathan leise, »nun sind wir beide wieder menschlich, und darüber bin ich sehr, sehr froh!«
Dann berührten seine Lippen meine, und erneut durchrieselte mich ein Schauer, diesmal jedoch aus purem Glück. Jonathans Kuss hielt für einen Moment die Zeit und vielleicht auch die ganze Welt an, jedenfalls kam es mir so vor.
Doch da rief Lilly aus der Küche: »Hunger!«
Widerwillig löste ich mich aus Jonathans Armen und drehte mich zur Küchentür um, hinter der ich Lilly energisch mit Geschirr klappern hörte. Gleichzeitig begann die Uhr der Kirche draußen ihr Mittagsläuten.
»Schon gut, Lilly, wir kommen gleich«, rief ich.
»Emma«, hörte ich Jonathan da schwach sagen. Seine Stimme klang anders als noch kurz zuvor. Ich wandte den Kopf, um ihn zu fragen, ob alles in Ordnung wäre. Doch an der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte, lagen jetzt nur noch die Männerklamotten, die Lilly Jonathan von ihrem Vater geliehen hatte. Und auf dem Boden saß ein schwarzer Rabe und sah mich traurig an.
[home]
Kapitel 13
V or sich hin schimpfend schloss Udo die Haustür auf. Da hatte er sich erst ein nagelneues Smartphone gekauft, und dann war der Akku nach zehn Stunden leer! Und das Ladegerät lag natürlich zu Hause, weshalb er seine Mittagspause nicht mit seiner hübschen Anwaltsgehilfin verbringen konnte, sondern noch einmal zurückfahren musste, denn ohne sein Handy fühlte Udo sich nackt. Wenn er nicht alle fünf Minuten seine SMS oder Mailbox checken konnte, begann er, nervös zu werden.
Er fand eine heulende Tochter und eine sichtbar gereizte Ehefrau vor. Aus Linus’ Zimmer drangen die Pieps- und Ballergeräusche seines derzeitigen Lieblingscomputerspiels. »Was ist hier los?«, fragte Udo, weniger aus Interesse, sondern eher, weil es als Familienoberhaupt von ihm erwartet wurde. Karla schniefte nur, während eine Rotzspur sich langsam den Weg von ihrer Nase zum Kinn bahnte. Udo beschloss, nicht hinzusehen, und wandte seine Aufmerksamkeit Claudia zu.
»Karla sollte die Katze rausbringen, aber sie hat sie stattdessen in ihrem Zimmer versteckt. Das Vieh ist trotzdem abgehauen, und jetzt macht deine Tochter Theater«, gab sie mürrisch Auskunft.
»Wo ist das Problem?«, erwiderte Udo gut gelaunt. »Katze sollte weg, Katze ist weg, also alles paletti, oder?«
»Du bist gemein!«, brüllte Karla und rannte in ihr Zimmer. Rumms!, schlug die Tür zu.
»Mein Gott, ein bisschen sensibler könntest du schon mit dem Kind umgehen!«, richtete sich Claudias Zorn nun gegen ihn. Augenrollend steuerte Udo sein Arbeitszimmer an, um das Ladegerät zu holen. Irritiert bemerkte er die angelehnte Tür. Er hätte schwören können, sie heute Morgen fest geschlossen zu haben. Sofort, als er das Zimmer betrat, fiel ihm die kahle Wand auf, an der normalerweise das Gemälde hing. Jetzt lag es auf dem Boden. Mit drei Schritten war Udo an seinem Schreibtisch und musterte die Bescherung. Das Bild hatte zum Glück keinen Schaden davongetragen, und er atmete auf. Zwar war er sich sicher, dass niemand auf den ersten Blick die verborgene Tür in der Wand bemerken würde, hinter der sich sein Safe befand. Andererseits kannte er Claudias Neugierde, ihre Nase in alle Angelegenheiten zu stecken, egal ob eigene oder fremde.
Er ging zurück zur Tür und
Weitere Kostenlose Bücher