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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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brüllte hinaus in den Flur:
    »War einer von euch in meinem Arbeitszimmer?«
    Claudia steckte den Kopf aus der Küche. »Was machst du denn für einen Terz?«, fragte sie ärgerlich. »Ich habe dein Reich nicht betreten! Sonst wäre ich jetzt blind«, fügte sie mit der üblichen Gehässigkeit hinzu, die sie immer an den Tag legte, wenn es um Udos Einrichtungsgeschmack ging.
    »Karla! Linus!«, kommandierte Udo.
    Die beiden Kinderzimmertüren gingen auf, und Karlas verheultes und Linus’ gelangweiltes Gesicht erschienen. »War einer von euch hier drin?«, nahm Udo seine Sprösslinge streng ins Verhör.
    Linus warf ihm einen Blick voll tiefer Verachtung zu. »Ne! Was soll ich denn an deinem Schreibtisch, mein Computer ist viel schneller als deiner!«, ließ er seinen Vater wissen und verschwand wieder, um irgendwelche Monster in der virtuellen Welt abzuknallen. Auch Karla schüttelte nur den Kopf und sah ihren Vater anklagend an, ehe sie wortlos ihre Zimmertür wieder schloss.
    »Was hast du denn? Fehlt irgendwas, oder ist etwas kaputtgegangen?«, bohrte Claudia und schien nun misstrauisch zu werden. Udo beeilte sich, den Kopf zu schütteln, und murmelte so etwas wie »Handy-Ladegerät liegt nicht an seinem Platz«.
    »Also wirklich, deine Probleme möchte ich haben«, sagte Claudia daraufhin spitz und verschwand nun ebenfalls wieder in der Küche. Udo kehrte ins Zimmer zurück und schloss ab. Dann nahm er die Wand genau in Augenschein. Drei kaum sichtbare, parallele Linien waren zu sehen, als hätte jemand mit einem spitzen Messer in die Tapete geritzt. Bei Udo begannen sämtliche Alarmlämpchen zu blinken. Hatte etwa jemand die verborgene Nische hinter dem Bild entdeckt? Überstürzt drückte er die Zahlenkombination und riss die Tür des Safes auf. Unberührt und geheimnisvoll schimmernd lag der Ring auf seinem Samtkissen.
    Erleichtert stieß Udo die Luft aus, die er die ganze Zeit angehalten hatte. Einen schrecklichen Augenblick lang hatte er das Bild eines Tresors vor Augen gehabt, der bis auf das Kissen leer war. Sorgfältig schloss er erst die Safe-, dann die Tapetentür und hängte das Gemälde wieder an seinen Platz.
    Er war schon fast aus dem Zimmer, da fiel ihm das Ladegerät ein. Kopfschüttelnd kehrte er zurück und ließ seinen Blick über den Schreibtisch wandern. Hier irgendwo musste das Teil liegen. Plötzlich stach ihm etwas ins Auge und ließ ihn stutzen: Einige kurze, seidige Haare lagen auf der blankpolierten Mahagoniplatte. Mit spitzen Fingern nahm Udo eins davon hoch und hielt es gegen das Licht. Es war an der Spitze weiß und am unteren Ende rot – genau wie das Fell dieser vermaledeiten Katze, die Karla heute Morgen angeschleppt hatte.
    Udo verspürte ein unangenehmes Ziehen im Magen. Was hatte das Vieh in seinem Arbeitszimmer und auf dem Schreibtisch zu suchen? In diesem Moment fiel ihm sein Schreibtischstuhl auf, der nahe an der Wand stand. Udo runzelte die Stirn. Normalerweise war der Sessel immer direkt an die Tischplatte geschoben. Sein Verdacht verstärkte sich, als er den Stuhl inspizierte und winzige Löcher in der Sitzfläche fand. Wie von Nadeln oder – spitzen Krallen! Sollte das verflixte Katzenvieh etwa das Bild von der Wand geworfen und den Safe entdeckt haben …?
    Gleich darauf schalt er sich selbst einen Trottel für diesen Gedanken. Es hatte sich bestimmt einfach nur einen Weg nach draußen gesucht und war dabei in sein Arbeitszimmer gekommen, redete er sich ein. Neugierig, wie Katzen waren, war sie wohl auf seinen Schreibtisch gesprungen und hatte anschließend aus purem Übermut das Gemälde von der Wand geworfen und die Kratzspuren hinterlassen. »Vermaledeites Schleichbiest«, murmelte Udo, »zum Glück ist es jetzt weg!«
    Aber er konnte das Zittern in seiner Stimme hören, und das Gefühl einer bösen Vorahnung verschwand auch nicht, nachdem er endlich das Ladegerät entdeckt hatte. Sein Unbehagen wurde erst schwächer, als in seinem Wagen saß und das Restaurant ansteuerte, in dem seine Anwaltsgehilfin schon auf ihn wartete.

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    Kapitel 14
    A n Mittagessen war nicht mehr zu denken. Lilly war auf meinen verzweifelten Schrei hin aus der Küche gerannt gekommen. Fassungslos sah sie auf den schwarzen Vogel hinunter, der den Kopf gesenkt hatte und verzagt krächzte.
    »Du willst mir jetzt nicht sagen …«, setzte sie an, und ich nickte resigniert.
    »Doch, Lilly. Es ist Jonathan. Der Fluch hat ihn wieder erwischt. Scheinbar verwandelt er sich Punkt zwölf Uhr

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