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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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nichts. Wenn sie alles richtig machte und fleißig war und sparte, vielleicht würde er dann eines Tages ihr Lehrer? Dann würde er ihr die Schnitte zeigen, wie er sie zurzeit Jan beibrachte. Ihr die Stoffsparkniffe beibringen, mit denen er Dietrich ständig quälte. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als das.
    " So, und nun arbeite weiter an deinem Kleid!" Er zwinkerte. "Ohne Schnüre, versteht sich."
    Sie nickte, den Stoff schon in der Hand. Die Tür klappte, der Meister ging zu seinen Gesellen. Anna legte die Stirn in Falten und biss auf der Unterlippe herum. Endlich hatte sie sich entschieden. Sie würde zwei Geren machen. Sie musste niemanden beeindrucken, und der restliche Stoff würde einen feinen Umhang ergeben.
     
    Der nächste Morgen atmete Veränderung. In der Stunde vor dem Frühmahl war Anna die Nähstube sonst am liebsten, denn allein im Raum, nähte sie in Windeseile mit der Linken. Auf diese Weise ließ sich ein ansehnlicher Vorsprung für mondlose Nächte herausarbeiten. Doch kaum hatte sie die Tür geöffnet, als ihr Dietrichs Stimme entgegenschallte.
    " Hinaus mit dir, wir haben zu arbeiten ..."
    Anna warf die Tür wieder zu. Richtig , sie musste ins Arbeitszimmer.
    Der Stoff lag noch da , wo sie ihn am Tag zuvor liegen gelassen hatte. Teil auf Teil, Naht auf Naht, nichts war verschoben oder zerdrückt. Wie gut, dass sie den Tisch nicht hatte abräumen müssen, das sparte Zeit. Vielleicht konnte sie das Oberkleid fertig bekommen, bevor die drei Tage um waren.
    Sie hatte am Tag zuvor mit der Kreide gut vorgearbeitet, heute ging es ans Ausschneiden. Das Licht war günstig, angenehm hell, aber die Morgensonne blendete nicht. Bei diesem feinen Stoff tat sie gut daran, sich nicht zu verschneiden, sonst wurde es nichts mit dem Mantel.
    Z uerst schnitt sie das Vorderteil aus. Ein Halbmond für den Hals, den Rest des Oberteiles geformt wie einen bauchigen Krug, der Rock sollte bis zum Boden reichen. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Das Rückenteil war schwieriger, der Halbmond des Halses stürzte unten in eine tiefe Schlucht, deren Ränder zu guter Letzt mit Hilfe eines Pfriemes die Löcher für die Schnürung aufnehmen sollten. Oder doch lieber Schlaufen einnähen? Viele Löcher ergaben eine gleichmäßigere Schnürung, aber die Schlaufen würden länger halten. Anna entschied sich für Schlaufen. Das Rückenteil ließ sie ein wenig länger; halbrund geformt, glich es einer kleinen Schleppe. Anna lachte leise. Wer hätte gedacht, dass sie einmal reich genug wäre für ein rotes Schleppenkleid?
    Erst als der Schnitt für das Überkleid zur Gänze fertig war, gönnte Anna ihren steifen Händen eine Unterbrechung. Es wurde höchste Zeit, dass sie zum Abtritt ging. Als sie die Tür öffnete, stieß sie fast mit Dietrich zusammen.
    "Machst dir ´nen lauen Tag, während wir uns sputen, hä?", raunzte er mit mürrischem Gesicht, die Hände in die Hüften gestemmt, und stellte sich ihr breitbeinig in den Weg.
    "Lass mich durch !", zischte Anna.
    " Brauchst wohl eine Ruhepause, wie? Was glaubst du, wie lange er dich noch behält, wenn du so faul bist?", hetzte Dietrich weiter.
    Anna presste die Schenkel zusammen. Lange konnte sie nicht mehr warten, dann wäre es zu spät. Die Genugtuung gönnte sie ihm nicht.
    " Du Schuft, lass mich endlich durch!", schrie sie. Dann ging alles ganz schnell. Dietrich packte Anna an den Haaren und drückte sie vor sich auf die Knie. Doch plötzlich ließ das Gezerre nach, und Dietrich riss schützend die Arme hoch. Der Meister stand hinter ihm, die Rute in der Hand, und prügelte, was das Zeug hielt. Anna kam auf die Füße und schob sich an den beiden vorbei.
    "Danke!" , rief sie und stürzte zum Abtritt hinüber.
     
    Jan aß kaum von seiner Suppe, dabei war er ohnehin so schmal. Er dauerte Anna. Sie hatte von Wiffi gehört, dass es für ihn nicht gut aussah. Der zweite Tag war zu Ende; Anna war weit gekommen. Alle Teile waren zugeschnitten, es hatte nicht nur für einen Umhang gereicht, sondern zusätzlich auch für einen Beutel. Ihre Gedanken schweiften ab. Meister Spierl war am Nachmittag mehrere Male zu ihr an den Tisch getreten und hatte ihr vieles gezeigt. Seine Art, die Einschnitte bis fast auf Brusthöhe zu ziehen, hatte eine Menge Stoff gekostet, aber am Ende hatte es gereicht. Der Fall des Rockes würde sie sicher für diese Verschwendung belohnen. Sogar die Heftstiche waren gemacht. Es tat gut, im Arbeitszimmer des Meisters mit der Linken nähen zu

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