Die Gewandschneiderin (German Edition)
Gesellen die Weidenrute so derb über den Oberarm, dass Anna bei dem Geräusch ein zweites Mal zusammenzuckte.
"Dies eine meine ich nicht, du Holzkopf. Ich meine deinen Streit mit Jan - wer mich nach Worms begleiten darf ."
Als der Alte fortfuhr, galt ihm auch Dietrichs volle Aufmerksamkeit.
"Ich fand es ungerecht, einfach einen von euch zu bestimmen. Außerdem habt ihr beide eure Vorzüge - und Nachteile. "Du" - er tippte mit der Rute auf Jans Tisch - "bist noch zu langsam. Wer mich begleiten darf, muss schnell nähen und schneidern können. Und du" - Dietrich war an der Reihe - "bist ein eingebildeter Pfau und hast nur Weiber im Sinn. Wie soll ich dich von den Hofdamen fernhalten? Außerdem arbeitest du schlampig, wenn keiner hinsieht." Der Gewandschneider seufzte.
Die Gesichter der Gesellen wurden lang und länger, sie sahen ihre Felle davonschwimmen. Selbst Dietrich traute sich nicht zu widersprechen. Auch Anna war verwirrt - einen musste er mitnehmen, warum fasste er dann keinen Entschluss?
"Um es gleich vorweg zu sagen - ich habe mich noch nicht entschieden."
Dietrich hielt es nicht mehr aus. "Was soll dann die Ansprache?", rief er.
Anna erwartet e, dass Spierl den Gesellen mit der Rute zu einem höflicheren Umgangston ermuntern würde, doch sie sah sich getäuscht. Er grinste nur von einem Ohr zum anderen.
" Ein Wettbewerb soll entscheiden. Jeder von euch bekommt Stoff. Jeder von euch entwirft, schneidert und näht in drei Tagen ein Kleid für eine der Hofdamen. Mit Unterkleid und allem Zubehör."
"Drei Tage? Das ist nicht zu schaffen" , widersprach Dietrich trotzig.
Jans Kopf ruckte herum, sein Blick suchte Anna. Doch der Meister hatte seine Augen überall.
" Komm bloß nicht auf solche Gedanken! Jeder muss sein Stück ganz allein fertigstellen. Wer sich helfen lässt, hat von Haus aus verloren. Glaubt mir, ich kenne eure Stiche. Bildet euch nicht ein, ihr könnt mich hintergehen."
Jan sa nk in sich zusammen. Und der enttäuschte Ausdruck auf Dietrich Gesicht zeigte, dass auch er mit Annas Unterstützung gerechnet hatte.
Jetzt war die Katze aus dem Sack.
Am liebsten hätte Anna die Stoffballen der beiden auseinandergerollt. Welch eine Aufgabe! Wie waren die Stoffe beschaffen? Ließen sie sich leicht bändigen? Machte die Farbe Freude beim Nähen, oder war sie langweilig? Wann öffneten sie endlich die Packen?
"Anna! Hörst du mich?" Der Meister. Hatte er schon einmal gerufen?
"Nimm deine Sachen und warte auf dem Flur! Ich muss meinen Gesellen noch Weisungen erteilen. Danach komme ich zu dir."
Nein, nein, nein, was sagte er da? Sie wollte hierbleiben und zusehen. Doch der Blick verbot ihr jegliche Widerrede.
So langsam wie möglich nahm Anna Nadel, Garn und den Korb, schlich zur Tür und schloss sie zögernd hinter sich. Das war ungerecht.
Die Tür öffnete sich, und der Meister, die Rute in der Hand, trat auf den Flur. Annas Kopf ruckte herum. Endlich. Durch die vermaledeite Tür hatte sie kein einziges Wort verstanden, und die Zeit war ihr lang geworden.
"Komm mit !"
Sie folgte ihm, noch immer verdrossen.
"Du wirst in den nächsten drei Tagen in meiner Stube arbeiten." Er öffnete die Tür und ließ Anna den Vortritt.
Sie blieb mitten im Raum stehen und stellte den Korb auf dem Boden ab. Er war nur zu einem Drittel gefüllt. Arbeit für eine halbe Nacht.
Auch der Meister spähte in den Korb, hob die Schultern und schob ihn in eine Ecke.
"Das kann warten. Mit dir habe ich etwas anderes vor. Warte hier !" Er ließ sie stehen und verschwand nach draußen.
Wieder hieß es warten, und Anna wagte es nicht, sich zu setzen.
"So." Meister Spierl war schneller zurück als erwartet. Etwas Rotes auf dem Arm, trippelte er auf den Schneidertisch vor dem Regal zu. Da erst erkannte Anna das einmalige Rot ihres Stoffes. Wollte er ihn ihr wieder wegnehmen? Reute ihn seine Großzügigkeit im Nachhinein? Sie ballte die Hände zu Fäusten.
"Du kannst in den drei Tagen an deinem Kleid nähen. Ich brauche dich nicht für die anderen Arbeiten, ich muss die beiden Streithähne beaufsichtigen."
Vor Begeisterung strahlte Anna über das ganze Gesicht. "Danke!", rief sie.
Der Meister räusperte sich verlegen. "Glaub nicht, dass ich dir für die drei Tage Lohn zahle." Er fuchtelte mit der Rute nach links und rechts, wie um sein Kopfschütteln zu bekräftigen.
Einsichtig schüttelte sie den Kopf. "Natürlich nicht."
"Essen kannst du trotzdem. Und dass du mir ja nichts Falsches anfasst.“ Die Rute
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