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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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wippte in Richtung Regal – und damit zur Geheimtür. „Und nun komm, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit."
     
    Auf dem dunklen Holz des polierten Schneidertisches wirkte das Rot noch leuchtender. Der Meister war gerade erst von Jan und Dietrich wiedergekommen. Doch sie hatte nicht gefragt, wie die beiden vorankamen, sie musste nachdenken. Die geliehene Schere in der Hand, legte Anna den Kopf schief. Sollte sie zwei Geren mehr machen? Aber jeder eingesetzte Keil kostete viel Stoff. Sicher, der Kattun, wie Meister Spierl ihn manchmal nannte, war nach dem vollständigen Entfalten größer als gedacht, aber würde es noch für einen Umhang reichen, wenn sie die aufwendigen Geren machte?
    "Was überlegst du noch? Das Kleid, das du trägst, hast du angeblich doch selbst geschneidert.
    Sie sah ihn verständnislos an. "Und?"
    "Dann solltest du wissen, womit du beginnen musst. Erst einmal vermessen. Du brauchst Schnur."
    Anna schüttelte den Kopf. "Das ist nicht nötig. Ich habe die Maße im Kopf."
    "Vielleicht deine eigenen. Aber wenn man für eine andere Person schneidern will ..." Er verstummte kurz, dann fuhr er fort. „Ich muss darauf bestehen - dies ist eine Gewandschneiderei und keine Küche. Dabei darf nicht irgendetwas herauskommen, nicht bei dem teuren Stoff."
    Anna hob endlich den Blick - und stutzte. Er sah irgendwie enttäuscht aus.
    " Gleichgültig, für wen das Kleidungsstück bestimmt ist", erklärte sie, "ich behalte alles im Kopf. Ich brauche die Schnüre wirklich nicht. Ich muss nur einmal mit den Augen Maß nehmen."
    Wenn sie ihn mit diesen Worten zufriedenzustellen hoffte, täuschte sie sich .
    " Unmöglich!" Er stampfte mit dem Fuß auf und verzog das Gesicht.
    Anna hütete sich zu l achen, auch wenn er wie ein trotziges Kleinkind wirkte. Das Aufstampfen hatte bestimmt wehgetan.
    "Beweis es!" , rief er.
    "Gern, aber wie?"
    "Die Müllersfrau. Die Frau mit dem braunen Kleid, der Wollstoff ..."
    Anna wusste sofort, wer gemeint war. Sie war lange genug vor ihr auf dem Boden herumgekrochen , um die Utensilien wieder zusammenzusuchen, die Dietrich hinuntergefegt hatte. Sie nickte.
    "Ich wei ß, wer gemeint ist."
    Meister Spierl kramte einen Rest verblichenen Le inens aus dem Regal neben sich.
    "Schneid mir einen Streifen ! Zwei Finger breit, einmal um ihre Mitte."
    Anna nahm den Stoff und setzte die Schere an. Zügig schnitt sie schnurgerade durch den Stoff. Es war gutes Tuch, und die Schere war scharf, sie hatte keine Mühe, einen ebenmäßigen Schnitt zu führen. Meister Spierl hatte sie beobachtet. Er hastete zum Regal auf der anderen Seite und wühlte sich durch unzählige Schnüre voller Knoten, die dort an Haken auf ihren Einsatz warteten.
    "Ha!" , rief der Meister, ergriff ein Bündel, löste daraus eine Schnur und kehrte zum Tisch zurück. Er legte den Faden an, hielt die Knoten mit einer Hand fest und strich mit der anderen das Leinen glatt. Der Abstand passte. Anna schmunzelte - sie hatte es gewusst, denn sie nahm, seit sie denken konnte, auf diese Weise Maß.
    Meister Spierl s Wangen glühten, er schwitzte die feinen Perlen, die so charakteristisch für ihn waren.
    " Blinder Zufall." Er schob ihr den Rest des Stoffes zu. "Einen Finger breit, den Umfang ihres Handgelenkes."
    Anna rief sich das Bild der Müllersfrau in Erinnerung und führte den Schnitt aus. Meister Spierl brauchte länger, um den richtigen Faden zu finden, als sie für das Schneiden benötigte. Seine Finger zitterten beim Anlegen.
    Auch dieser Faden passte.
    "Ihr Hals."
    Sie schnitt.
    "Ihre Armlänge."
    Anna betrachtete den Stoff und hielt inne.
    "Siehst du, du kannst es nicht immer!" , rief der Gewandschneider triumphierend.
    "Doch, ich kann es." Sie deutete auf den Stoffrest. "Aber der Stoff reicht nicht."
    Wortlos reichte er ihr ein neues Stück Leinen aus dem Restekorb im Regal, diesmal in verblichenem Braun. Anna schnitt und hielt ihm den Streifen hin. Der Meister nahm eine der längeren Schnüre, legte das Bündel aus der Hand und maß nach. Anna wagte kaum zu atmen. In der Stille wäre das Fallen einer Nadel zu hören gewesen.
    Die Schnur passte.
     
Hahnenkampf
     
    Wüst sah er aus, die Haare wirr und das feuchte Gesicht voller Falten, aber die Wangen waren noch rosiger als sonst , und er grinste von einem Ohr zum anderen. Im Dämmerlicht des Arbeitszimmers wirkte er wie ein frisch geschlüpftes Entenküken.
    "Anna, Anna, Anna , wer hätte das gedacht!", rief der Gewandschneider.
    Sie lächelte zurück, sagte aber

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