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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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dürfen, im vollen Licht. Keiner traute sich dort hinein, sie war sicher. Und das Essen fand ohne Dietrich statt, den hatte der Meister nach der Arbeit ohne Essen nach oben geschickt. Ein glückliches Lächeln breitete sich auf Annas Gesicht aus, bis ihr Blick den von Jan kreuzte.
    "Schön, dass es dir gut geht." Der Geselle warf seinen Löffel so heftig auf den Tisch, dass es klapperte. "Ich hätte gedacht, dass du wenigstens fragst, wie ich vorwärtskomme, wenn du mir schon nicht hilfst."
    Anna war sprachlos. Das war ungerecht - sie durfte doch gar nicht helfen. Schmal und blass saß Jan auf seinem Schemel, als wäre er gerade von einer schweren Krankheit genesen. Dunkle Ringe zierten seine Augen wie eine verschmutzte Borte. Hatte sie wirklich das Recht, ihm etwas vorzuwerfen? Sie wünschte sich seit zwei Tagen, dass Dietrich gewann, und das aus purem Eigennutz. Wenn er mitfuhr, herrschte Ruhe im Haus. Und sie war froh, einmal nicht als Zunäherin zu arbeiten, sondern unter den wachsamen Augen des Meisters zu zeigen, was sie konnte. Sie wollte Jan gar nicht helfen, was sollte sie da erwidern?
    " Lass Anna in Ruhe!", keifte Wiffi, hob das versehrte Bein vom stützenden Schemel, stand auf und stützte sich mit beiden Fäusten auf die Tischplatte. Dann beugte sie sich so weit vor, dass ihre Nase Jans Gesicht fast berührte.
    "Warum soll sie dir helfen? Wenn du nach Worms kommst, musst du auch allein arbeiten. Was sagst du dann dem Kaiser? Die Hochzeit fällt aus, ich habe meine Näherin zu Hause vergessen, hä?"
    Jan lehnte sich zurück, so weit das möglich war, ohne vom Schemel zu kippen. Der Arme - Wiffi roch schon aus erheblicher Entfernung unerträglich.
    "Er ist der mächtigste Mann auf Gottes schöner Erde, und er hat schon Leuten wegen geringerer Vergehen den Hohlkopf vom Hals schlagen lassen. Wenn du es nicht kannst, bringst du nicht nur dich in Gefahr, sondern auch den Meister."
    Schwer atmend setzte die Alte sich wieder auf ihren Platz, doch ganz fertig war sie mit Jan noch nicht.
    "Wirf dich auf dein Lager, um zu heulen, oder benimm dich wie ein Mann und näh die Nacht durch, aber verschwinde aus meiner Küche."
    Jan sprang auf und stürmte hinaus. Wiffi zog Jans Teller zu sich heran und tunkte einen Kanten Brot in dessen kalte Suppe.
    "Er muss dir nicht leidtun, es ist nur zu seinem Schutz. Wenn er nicht gut genug ist, kommt er bei Hofe unter die Räder. Ich habe viel über den Kaiser gehört , und eins ist sicher: Wenn er unzufrieden ist, fackelt er nicht lange."
    Anna erhob sich zögernd und stellte ihre Schüssel in den Bottich.
    "Und noch eins - willst du, dass Dietrich mit uns hierbleibt? Ich nicht." Wiffi stopfte sich das aufgeweichte Brot in den Mund, und die Brühe rann ihr in zwei dünnen Fäden über die weißen Stoppeln am welken Kinn.
     
    Anna kämpfte. Zwischen Garn und Stoff war farblich kein Unterschied, und das Licht war so schlecht, dass die Nähte kaum zu sehen waren. Die Fenster waren hier kleiner als im Nähzimmer, und der Mond verschwand immer wieder hinter Wolken. Wie sie den Schemel auch drehte, stets fiel ein Schatten auf die Naht. Ihr tat der Nacken weh, und die Finger schmerzten ebenfalls.
    " Verflixt, wie soll ich ..." Sie schleuderte das Kleid auf den Nähtisch. Schritte erklangen hinter ihr. Sie hatte die Tür nicht quietschen gehört, der Meister war zurück.
    "Meister Spierl, es tut mir leid, das Licht … Ich kann kaum etwas sehen, ich wollte nicht ..."
    "Schon gut, bei solch schlechtem Licht könnte ich auch nicht arbeiten." Meister Spierl legte seinen guten Umhang ab und räumte die silberne Fibel sorgsam in den Kasten im Regal. Es musste ein wichtiger Kunde gewesen sein, für den er sich so herausgeputzt hatte. In jeder Hand eine Öllampe, trat der Meister an den Tisch.
    "Immer noch fleiß ig?" Eine zweite Lampe flammte auf, so war es besser.
    "Wenn ich mich spute, bin ich bis morgen Abend fertig."
    Der Meister entzündete eine weitere Lampe und ordnete die drei Lichtquellen im Halbkreis vor Anna auf dem Nähtisch an. Die Schatten verschwanden, der Faden war deutlich zu erkennen.
    Anna war begeistert. "Wie habt I hr das fertiggebracht?", fragte sie.
    Der Gewandschneider schmunzelte. "Berufsgeheimnis. Zeig mir deine Arbeit!"
    Anna reichte ihm die fertigen Teile. Bis auf das Einnähen der Ärmel war alles weit gediehen.
    "Was hast du mit den Ärmeln angestellt? Die sollten weit sein. Das sieht ja aus wie ein Unterkleid, nicht gerade zeitgemäß." Meister Spierl wirkte

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