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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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schlafen!"
    Anna erhob sich. Ihr schwindelte, doch nach zwei , drei Schritten war sie halbwegs wach.
    "Die Lampe" , murmelte sie.
    " Lass sein, darum kümmere ich mich." Spierl schob sie zur Tür. Als Anna schon im Flur war, rief er noch einmal.
    "Anna?"
    "Ja?"
    "Das Kleid ist gut geworden."
     
    Sie hatte die Schale erst halb leer gegessen , und doch hatte Anna das Gefühl, keinen Löffel mehr hinunterzubringen. Wie es Jan wohl erging? Der saß stumm vor seinem Frühmahl und rührte es nicht an. Der Meister hatte gut gegessen, wirkte ausgeschlafen und zufrieden. Ein Blick auf seine Hände zeigte Anna, dass es ihm besser ging: kaum Schwellungen, keinerlei Rötung.
    Verschlafen polterte Dietrich über die Schwelle.
    "Wo her kommst du so spät, hä?" Wiffis vorwurfsvoller Blick verlangte nach einer Entschuldigung.
    "Tut mir leid, lange gearbeitet gestern." Der Geselle ließ sich auf den Schemel fallen und schlang den Morgenbrei in sich hinein.
    "Bist es nicht gewöhnt, so hart zu arbeiten, hm?"
    Dietrich rülpste und deutete auf Jans Schüssel. "Magst du nicht?"
    Jan schüttelte den Kopf. Dietrich zog die Schale zu sich heran und machte sich über die Speise her.
    Meister Spierl erhob sich. "Es wird Zeit - kommt in die Nähstube!" Er ging voraus.
    Jan folgte ihm wie ein Schlafwandler, doch Dietrich sprang auf wie ein angegriffenes Wildschwein und stieß fast die Schüssel vom Tisch.
    Igitt ! Wiffi löffelte die Neige aus Jans Schale in sich hinein. Anna hätte in der Nähstube gern Mäuschen gespielt, statt der Alten beim Restevertilgen zuzusehen. Sehnsüchtig starrte sie zur Tür. Der Kopf des Gewandschneiders tauchte auf. "Wo bleibst du?", fragte er.
     
    Äußerlich hatte sich in den letzten drei Tagen in der Nähstube nichts verändert, aber die Anspannung des Wettbewerbes war förmlich greifbar. In der unaufgeräumten Stube roch es wie in einem Dachsbau. Überall lagen Fäden und Fusseln, Nadeln, Scheren, Kreiden und Stoffstreifen herum. Jeder der beiden Gesellen hatte seine Arbeit zu einem Stapel gefaltet und ans Tischende gelegt. Anna saß auf ihrem Platz am Fenster und wartete gespannt. Meister Spierl stand vor seinem Tisch, die Rute in der Hand, und blickte von einem zum anderen. Er starrte auf Jan, der auf seinem Stuhl zusammenzuschrumpfen schien wie Filz im heißen Wasser, er musterte Dietrich mit hochgezogenen Brauen, und schließlich linste er auch zu Anna herüber. Sie lächelt verlegen, doch er lächelte nicht zurück. Stattdessen zog er die Stirn kraus, legte den Finger an die Nase und klopfte sich mit der Rute auf den Oberschenkel. Eine Weile geschah nichts.
    Just als Anna dachte, dass Dietrich sich gleich beschweren werde, hellte sich die Stirn des Meisters auf.
    "Ich habe etwas vergessen, bin gleich zurück" , murmelte er.
    Die Tür hatte sich noch nicht ganz geschlossen, da brach der Unmut schon aus Dietrich hervor.
    "Was denkt er sich dabei? Kann er nicht endlich sagen, dass er mich mitnimmt? Du hast deine Arbeit doch gesehen, Jan, die taugt nichts."
    Jan schwieg und betrachtete seine Schuhspitzen mit leerem Blick.
    Dietric h hob einen Ärmel. "Anna, selbst du musst zugeben, dass mein Gewand besser gelungen ist."
    Anna schnaubte nur.
    Die Tür klappte, der Meister war wieder da, einen hellen Leinenpacken unter dem Arm. Jan stöhnte, und Dietrich knurrte. Anna warf einen neugierigen Blick auf den Packen. Ein neuer Auftrag? Stand die Entscheidung des Meisters noch immer nicht fest? Er erwähnte den Packen mit keinem Wort, legte ihn an das Tischende unter die blauen Augen des Kaisers, dessen Bild Anna seit drei Tagen nicht mehr gesehen hatte. Sogleich zog es sie wieder in Bann. Ob es wohl stimmte, dass er Menschen den Kopf wegen einer Nichtigkeit abschlagen ließ? Blickten die Augen vielleicht nicht eindringlich, sondern streng?
    "Anna!"
    Was gab es? Der Meister stand mit Jan und Dietrich am Tisch, die Kleiderstapel vor sich, alle sahen zu ihr herüber.
    "Ja?"
    Meister Spierl tippte mit der Rute in die Lücke zwischen den Gesellen. "Hierher, habe ich gesagt!", knurrte er.
    Anna fuhr hoch und huschte zum Tisch hinüber. Eines der Kleider, offenbar Jans Arbeit, lag schon ausgebreitet da wie ein Verurteilter auf der Streckbank.
    "Was soll das sein?" Die Stimme des Meisters klang höher als sonst, er war wütend. " Habe ich dir so etwas beigebracht? Halb fertige Sachen abzuliefern? Der Schnitt ist nicht übel, aber wann soll das Kleid fertig sein? Zur nächsten Lichtmess? Wenn die Gewänder nicht

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