Die Gewandschneiderin (German Edition)
zu und wies auf Anna. Einer der beiden klopfte, steckte den Kopf durch den Einlass, zog ihn wieder zurück und nickte.
“Danke.” Anna schluckte. Offensichtlich hatte er es ernst gemeint mit seinem Hinweis, sie könne jederzeit zu ihm kommen.
Der Raum war klein . Zarte Vorhänge dämpften das grelle Morgenlicht. Friedrich saß an einem großen Tisch aus dunklem Holz, der einem Nähtisch glich, zur Rechten ein Regal. So viele Bücher füllten die Bretter, dass einige keinen Platz mehr gefunden hatten und auf die aufrecht stehenden Exemplare gelegt worden waren. Welch ein Schatz! Anna hatte noch nie mehr als zwei Bücher auf einem Fleck gesehen. Hier mussten Dutzende, ja Hunderte von Büchern aufbewahrt sein. Der Duft warnte sie spät. Friedrich war aufgestanden und neben sie getreten.
“Gefallen dir die Bücher?”
Nur nicht den Kopf drehen! Wenn sie ihm jetzt in die Augen sah …
“Es sind so viele. Wer so viele Bücher hat, muss ein wirklich reicher Mann sein” , hauchte Anna. Behutsam strich sie mit den Fingerspitzen über die Buchrücken. Ein leinener Einband, einer aus Seide, einer aus Leder, jeder dieser Einbände sprach zu ihren Fingerspitzen, wie es sonst nur Gewänder vermochten. Sie lächelte.
“Du magst Bücher? Was bist du nur für eine Frau, sprichst die Sprache der Falken und magst Bücher?”
Warum konnte sie nicht irgendetwas Unverfängliches erwidern? Anna biss sich auf die Unterlippe - in der Nähstube hatte sie noch genau gewusst, was sie sagen wollte.
“Hast du einen Anlass für dein Kommen, oder wolltest du mich einfach nur sehen?”
Wie unter einem Peitschenhieb zuckte Anna zusammen. Woher wusste er, dass …
Eine der Borten fiel ihr aus der Hand. Sie bückte sich und hob das teure Zierstück auf.
“Ich habe eine Frage. Die Borte, die zu Eurem Stoff dazugelegt war, passt besser zum Gewand der Braut. Und die blaue Borte passt wirklich gut zu … zu…“ Hatte sie sagen wollen: zu Euren Augen ?
“Zu meinem Gewand?”
“Ja”, sagte sie erleichtert.
“Hm.” Eine Weile schwieg der Kaiser. Anna sah sich um. Vor einem der beiden Fenster stand ein niedriger Tisch mit zwei Sitzkissen. Ein Holzbrett mit Würfelmuster und geschnitzte kleine Figuren standen dort, als warteten sie darauf, dass die Spieler sich wieder setzten. Der ganze Raum roch nach ihm. Vor dem Schreibtisch standen zwei Stühle, weich gepolstert und mit edlem Stoff überzogen. Anna strich unauffällig über den Bezug. Er fühlte sich noch besser an, als er aussah.
“Komm hier herüber !”
Friedrich hatte sich neben seinem Stuhl an das Regal gestellt und ein Buch herausgezogen. Anna legte die Borten auf den Besucherstuhl und trat um den Tisch herum zu ihm.
“Sieh her, dies ist ein Buch von Aristoteles. Beinahe auf jeder Seite schreibt er, wer alles seiner Meinung ist und dass überlieferte Texte den höchsten Gehalt an Wahrheit haben. Aber was er inhaltlich schreibt, ist falsch. Ich habe also” – er zog den Satz so in die Länge, dass Anna aufs Höchste gespannt zuhörte – “den Rat eines gewissen Weibes befolgt und ein eigenes Buch angefangen.”
Er deutete auf den Tisch, wo neben einem wirren Haufen von Pergamenten, Siegeln und einem Block Wachs ein aufgeschlagenes Buch mit schlichtem Einband lag.
Da erst verstand Anna. Der Tag mit den Falken. Sie selbst war das gewisse Weib . Freude durchglühte sie bis in die Fingerspitzen. Er hatte die Begegnung mit ihr zum Anlass genommen, etwas zu ändern, etwas zu erschaffen, sein Wissen in ein Buch zu schreiben.
“Du hattest recht, ich sollte meine Erfahrungen weitergeben. Ich habe Geld genug für Pergament und Schreiber.”
Annas Blick blieb an den Stapeln hängen. Pergament besaß er wahrlich genug, auch dieses ganz dünne … Papier, wie der Meister es genan hatte. Die dünnen Seiten waren allesamt mit langen Zahlenreihen bedeckt. Viele von ihnen kannte Anna, ihr Vater hatte ganze Abende damit zugebracht, Zahlen untereinanderzuschreiben.
“Kommen auch Zahlen in das neue Buch?”
“Nur wenige. Das dort sind Zahlen für den Hof, Rechnungen, Abgaben, alles nicht erbaulich. Ein Kaiser verbringt mehr Zeit mit Zahlen als mit seinem Volk, musst du wissen.” Er seufzte. “Gut, dass Leonardo mir die Rechenmethode der Araber gezeigt hat. Sie benutzen etwas, das sie Null nennen. Das Rechnen lässt sich damit deutlich schneller bewerkstelligen, vor allem wenn es um Außenstände geht.”
Anna verstand so wenig wie bei Zahmeena, aber sie nickte und
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