Die Gewandschneiderin (German Edition)
Absicht die falschen Maße geschickt.
Das Fensterchen ließ auch zur Mittagszeit nur wenige Sonnenstrahlen durch, aber nun fielen sie seit einer Weile schräg in den Raum - es war schon spät. Eine trügerische Ruhe lag wie ein mottenzerfressener Schal über der Stube. Annas Widerspruch gegen die falschen Maße war unangemessen heftig gewesen. Es stand ihr nicht zu, Meister Spierl zu tadeln, aber sie hatte das Gefühl, etwas unternehmen, ihn schützen zu müssen. Wenn de Vinea die falschen Maße abgegeben hatte, dann nur, weil er Anna hasste. Doch der Gewandschneider ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen, wie sehr sie auch auf ihn drang. Schnitt um Schnitt hatte er ausgeführt, und schließlich war das ganze Gewand fertig zugeschnitten. Der Meister war noch immer nörgelig, kein Wunder, es musste ihm sehr schlecht gehen, so wie er aussah.
“Jetzt zufrieden?” Er wischte sich die tropfende Nase ab. “Näh es ordentlich, hörst du?”
Anna nickte nur , sie wollte nicht sprechen. Er hätte sicher gemerkt, wie wütend sie auf ihn war.
“Gutes Kind. Ich ruh e mich aus.”
Anna nahm den wunderbaren Stoff zur Hand und begann im Schein der Öllampen zu nähen. Jeder einzelne Stich erregte ihren Widerwillen. Das Gewand würde nicht passen, und er , Friedrich, der Kaiser, würde denken, sie sei eine unfähige Gans. Es war zum Heulen.
Nur die Borten fehlten noch an dem missratenen Kleidungsstück. Seit Zahmeena ihr half, ging die Arbeit schneller voran. Allerdings hatte Anna nicht bedacht, dass sie in Gesellschaft wieder mit der rechten Hand arbeiten musste.
Zahmeena sprach nur in den Kehllauten, die auch Alimah beherrschte , und sie war so dick, dass sie nicht auf den Stuhl passte, also hatte Anna ihr eine Bank holen lassen. Die kleinen, feinen Nadeln für die schwierigen Stellen waren in den wulstigen Fingern kaum zu sehen, doch die Hände der dunklen Frau mit der dröhnenden Stimme bewegten sich wie geschickt kletternde Ziegen auf einem Berg.
Anna seufzte. Das Nähen mit der Rechten war anstrengend und unbefriedigend. Wenn sie sich so setzte, das s Zahmeena sie nicht sah, konnte sie dann nicht weiterhin mit der Linken nähen? Es bestand wohl keine Gefahr, dass diese Frau sich allzu geschwind umwandte.
Anna hustete, erhob sich und zeigte erst auf sich, dann auf das Fenster. Zahmeena rollte mit den Augen, nickte heftig, stieß ein Ahhh! und einige andere Kehllaute aus, die in einem Schwall aus ihrem Mund hervorbrachen. Anna verstand kein Wort, aber sie fand, dass der Höflichkeit Genüge getan war, und setzte sich mit ihrem Schemel ans Fenster, vorsichtshalber mit dem Rücken zu der Näherin.
So war es besser. Nur die Borte passte einfach nicht. Blau mit Gold und dann ein silberne s Band mit braunem Grundton? Zu Isabellas Stoff, der in zartem Waldgrün mit eingewirkten Silberfäden gehalten war, passte die Verzierung dagegen vortrefflich. Und bei Isabellas Kleid lag eine dunkelblaue Borte mit goldenen Einsprengseln und roten Beifäden, die genau zu dem blauen Stoff passte. Die Borten lagen nicht lose auf, sie waren festgesteckt. Verrutscht sein konnten sie also nicht. Hatte sich da jemand geirrt?
“Meister?” Er lag auf der Bettstatt, das gnadenlose Licht des frühen Morgens zeigte seinen wahren Zustand.
“Hm?”
“Die Borten passen viel besser, wenn man die des Kaisers mit jener der Braut tauscht.” Das Wort Braut hallte unangenehm in Anna nach, doch sie schob das Gefühl beiseite. Der Meister drehte sich stöhnend zu ihr herum.
“Willst du schon wieder das Unterste zuoberst kehren? Es bleibt so, wie es geschickt wurde.” Er hustete. “Mach es wie vorgegeben.” Meister Spierl warf sich auf die andere Seite. Anna betrachtete den knochigen Rücken mit der dunklen Schweißrinne entlang der Wirbelsäule. Ihn hatte sie genug aufgeregt. Ein Außenstehender musste ihrer Ansicht zustimmen, dann täte der Alte sich mit seinem Widerstand schwerer.
“Bring mich zum Kaiser, bitte!”
Anna hatte M´Ba auf einer seiner Runden im Gang des Palas abgefangen. Er fragte nicht, was sie so früh am Morgen vom Kaiser wollte. Der Wächter ging einfach voraus, durch endlose Flure, am Abgang zur Küche vorbei, aus der es auch um diese Zeit schon köstlich roch, zwei Treppen hinauf, bis sie vor einer Tür standen. Es war nicht der Eingang mit den zwei Flügeln, durch die sie beim letzten Besuch geführt worden war, doch die Leibwächter vor der schmalen Tür waren die gleichen. M´Ba rief ihnen etwas
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