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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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lächelte. Sie würde allem zustimmen, wenn er nur nicht wieder so traurig seufzte. Friedrich nahm eine ihrer Haarsträhnen und wickelte sie um den Finger.
    “So, kle ine Anna, jetzt muss ich weiterarbeiten. Ein Kaiser hat viel zu tun.”
    Erst an der Tür erinnerte sich Anna an ihr Anliegen. “Was ist mit der Borte?”
    “Mach es , wie du magst, es ist mir völlig gleich.”
    Anna zog die Augenbrauen zusammen. “Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt?”
    Er grinste, und die Sommersprossen schoben sich mit seinen Mundwinkeln nach oben, als wären sie lebendig.
    “Aus dem gleichen Grund, weshalb wir Italiener Vögel in Käfigen halten.”
    “Und der wäre?”
    “Um uns eine Weile an ihnen zu erfreuen.”
     

Himmelhoch jauchzend …
     
    Obwohl sie es immer noch ungewohnt fand, keine Dickmilch zum Frühstück zu essen, hatte Anna ihren Teller vollständig geleert. Alimahs Kochkünsten zu widerstehen, war schlicht unmöglich – es sei denn, man hieß Taddäus Spierl. Sie seufzte. Wieder einmal hatte er nichts von dem Frühmahl angerührt. Immer mehr glich er einem Eintagsküken - mit seinen großen Augen, dem feuchten weißen Haar und den spitzen Knochen, die ihm überall aus der Haut hervorstachen.
    “Soll ich E uch das Essen anreichen?”, fragte Anna.
    “Mein Hals tut weh.”
    “Alimah hat Rübenmus geschickt”, versuchte Anna es noch einmal.
    “Ich will nicht. Sag Wiffi, sie soll mir Heringe bringen” , murmelte der Gewandschneider.
    Anna stutzte. Wiffi? Die war weit weg. Das ganze Ge sicht des Alten war wieder von Schweißperlen bedeckt, und er wühlte unruhig zwischen den Laken herum.
    “Meister?”
    “Wiffi, du musst die Tür abschließen, hörst du? Dietrich wird sich rächen, ich kenne ihn …”
    Es gab keinen Zweifel, Meister Spierl fantasierte. Eine drückende Last legte sich auf Annas Brust, sie konnte kaum atmen. Hörte das denn niemals auf? Wie sollte sie das Gewand je fertig stellen, wenn er von einem schlimmen Zustand in den nächsten fiel und ihr in den wenigen klaren Momenten verbot, das Richtige zu tun? Als er jedoch in Tränen ausbrach und laut jammerte, verwandelte sich ihr Zorn in Mitleid. Sie musste nach dem Arzt schicken.
     
    Der Leibarzt war trotz der Hitze in langärmelige schwarze Gewänder gehüllt. M´Ba trug den Korb des Heilers, der gefüllt war mit allerlei Fläschchen und Tiegeln, denen ein strenger Duft entströmte.
    “Ach herrje, der sieht ja noch schlimmer aus als beim letzten Mal ! Hast du ihm die Medizin nicht gegeben?”
    Anna straffte den Rücken. “Doch, natürlich.”
    Sie sprach die Wahrheit. B is auf das eine Mal, als der Meister ihr den Löffel aus der Hand geschlagen hatte, hatte sie ihm das widerlich riechende Gebräu allabendlich zwischen die zusammengepressten Lippen gezwängt.
    “Hm. Ich muss ihn entkleiden, das ist nichts für ein Weib. Geh in den Garten oder sonst wohin, bis ich hier fertig bin.”
     
    Sie durchschritt die Pforte zu dem lang gestreckten Garten, den sie erst am Tag zuvor entdeckt hatte. Im Gegensatz zu dem Bereich vor der Mauer mit seinen Zelten und Käfigen war es hier himmlisch still. Vom oberen Absatz der Treppe aus überblickte sie die gesamte Fläche. Hecken in gerader Linie umsäumten eine Wiese, und die sauber gestochenen Wege zogen sich wie Ziernähte durch das Grün. Kleine Bänke und Beete bildeten ein hübsches Muster, und nach dem Mief in der Krankenkammer sog Anna dankbar die klare Morgenluft ein. Der feine Kiesbelag der Wege knirschte unter den Schritten. Gedankenverloren zupfte sie eine Rosenblüte ab und roch daran. Wann war sie je so glücklich gewesen? Gewiss, der Meister war krank, aber alles andere …
    Noch einmal rief sie sich seinen Geruch in Erinnerung, betörender als der der Blume in ihrer Hand. Was machte seinen Duft nur so unwiderstehlich? Und freundlich war er. Anna streckte sich auf einer Bank aus, hob das Gesicht der Sonne entgegen und schloss die Augen.
    “Vielleicht hätte ich Näher werden sollen, da wird man auch bezahlt , wenn man nur in der Sonne herumlungert”, höhnte eine tiefe Stimme. Anna fuhr der Schreck in die Glieder, sie riss die Augen auf und setzte sich gerade hin. Die Stimme war unverwechselbar - sie gehörte Petrus de Vinea.
    “Es ist anders, als I hr denkt …”, stammelte Anna. Obwohl sie kein schlechtes Gewissen hatte, was die Arbeit betraf, schoss ihr die Röte ins Gesicht. Hätte de Vinea auch nur geahnt, wem ihre Gedanken noch vor wenigen Augenblicken gegolten hatten,

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