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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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dass man sie festgebunden hatte. Sie bäumte sich auf, dann wurde es dunkel.
    „Ehrwürdige Mutter, ich glaube, sie ist wach …“
    „Danke, Theodora.“
Eine kühle Hand legte sich auf Annas Stirn. Sie hatte das Gefühl, dass es ihr besser ging. Das Atmen fiel ihr leichter. Sie versuchte zu schlucken. Es schmerzte, aber bereitete ihr nicht mehr solche Pein wie sonst. Endlich schlug sie die Augen auf und blickte in ein liebenswürdiges Gesicht voller Runzeln. Kein einziges Haar lugte unter der Haube hervor, aber Anna war ganz sicher, dass die Haare der Frau ebenso weiß waren wie ihre buschigen Augenbrauen. Die Augen waren blassgrau und zeigten die leichte Trübung des Alters, doch sie blickten freundlich und aufmerksam.
„Gott hat es trotz allem, was dir widerfahren sein mag, gut mit dir gemeint, mein Kind. Er hat dich bei uns gelassen.“
Anna wollte antworten, aber zum Sprechen reichte es noch nicht.
„Schsch! Ruh dich aus. In einigen Tagen wird es dir leichter fallen.“
    Anna sah sich suchend um. Die ehrwürdige Mutter glättete ihre Decke und hatte offenbar verstanden, was Anna wollte.
„Dem Hund geht es gut“, antwortete sie. „Er lebt im Stall beim Vieh und bereitet der Stallschwester allerlei Ungemach.“
Anna entspannte sich und schloss die Augen. Die ehrwürdige Mutter hatte recht, sie musste sich einfach nur ausruhen, dann würde alles wieder gut werden.

Anna saß auf ihrer Bettstatt. Angelehnt an ein dick gefülltes Kissen, löffelte sie schluckweise die salzige Brühe und seufzte vor Wohlbehagen. Sie hatte inzwischen herausgefunden, dass eine der Schwestern, die sie betreuten, Theodora hieß. Die andere hörte auf den Namen Justitia. Sie reichte ihrer Pflegerin die leere Suppenschüssel und bedankte sich artig.
„Anna, das sollst du trinken.“
    Theodora hielt Anna einen irdenen Becher hin, der mit einem braunen Sud gefüllt war. Er roch nicht gerade verführerisch.
„Was ist das?“, fragte Anna.
„Trink einfach, die ehrwürdige Mutter hat es so angeordnet“, gab Theodora zurück.
Anna setzte den Becher an und trank. Das Gebräu schmeckte genauso schlecht, wie es roch, aber sie leerte den Becher trotzdem bis zur Neige. Sie vertraute der Oberin, dass sie ihr wohlgesinnt war.
Theodora war längst gegangen, die Strahlen der milden Frühlingssonne fielen schon ganz schräg durch das kleine Fenster, da zerriss es Anna innerlich. Wütende Krämpfe durchzuckten ihren Körper. Sie musste dringend auf den Abtritt, vielleicht hatte sie sich zu ihrem Halsleiden auch noch eine Bauchkrankheit eingefangen. Sie setzte sich auf den Rand der Bettstatt und krümmte sich erneut. Was war nur mit ihr? Grauenhafter Durst und eine so schlimme Übelkeit überkamen sie, dass sie das Öffnen der Tür kaum wahrnahm. Im grauen Licht der Dämmerung trat Theodora an ihr Bett.
„Warte, ich helfe dir.“ Die Ordensfrau ergriff Annas Arm.
„Mein Bauch, ich …“, Anna stöhnte auf.
„Ich weiß, ich weiß. Atme! Du musst schön gleichmäßig atmen, hörst du?“
„Was ist mit … Oh!“ Ein solcher Krampf durchfuhr Annas Leib, dass sie sicher war - da hatte sich etwas losgerissen. Wie zur Bestätigung lief es ihr warm an der Innenseite der Schenkel hinunter. Bestürzt starrte Anna auf den Boden. Blut. Ein roter See, gespeist von den Rinnsalen, die an ihren nackten Füßen mündeten, und in der Mitte ein winziger Klumpen. Seltsam, dachte Anna, wie bei Liswetha, nur viel, viel kleiner.
Dann sank sie zusammen.

Als Anna erwachte, hatten die Krämpfe aufgehört. Sie verspürte keine Schmerzen mehr, weder im Hals noch im Leib. Nur kalt war ihr, furchtbar kalt. Stimmfetzen drangen an ihr Ohr.
„Und?“
„Es ist abgegangen.“
„Wie geht es ihr?“
„Ich bin nicht sicher, ob sie es schafft, sie hat viel Blut verloren.“
„Es ist Gottes Entscheidung.“
Anna öffnete die Augen. Eine Hand lag auf ihrem Bett, das war gut. Sie war nicht allein. Nur - warum war die Hand so weiß? Noch bevor Anna diese Beobachtung ergründen konnte, war sie schon wieder weggedämmert.
     
    Gedämpfte Zwitscherlaute drangen durch die enge Fensteröffnung im Mauerwerk, und auch ein schmaler Lichtstreifen fiel in die Kammer. Anna setzte sich auf. Ihr Hunger war unerträglich. Sie sah an sich hinunter; der leinene Kittel war fremd und ungefärbt, aber sauber. Sie schlug die Decke zurück und betrachtete zweifelnd ihre Schenkel. Sie waren dünn geworden, sie musste länger krank gewesen sein. Sie schob die Beine über die

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