Die Gewandschneiderin (German Edition)
Kante der Bettstatt und wollte aufstehen. Ihr wurde schwindelig, aber nach einer Weile stand sie doch auf dem Fußboden, schlang die Decke um die Schultern und wankte zum Ausgang. Sie wollte gerade nach dem Riegel greifen, als die Tür von außen geöffnet wurde und gegen sie prallte. Das war zu viel für die schwachen Beine, Anna fiel rücklings auf ihr Hinterteil.
„Au!“
„Herr im Himmel, was …?“ Theodora lugte um die halb geöffnete Tür und starrte Anna an, die sich in ihrer Decke auf den Steinen fühlte wie ein frisch geschlüpftes Küken in einer halben Eierschale.
„Was hockst du da auf dem Boden? Ab ins Bett mit dir, du musst ausruhen!“
Anna verzog das Gesicht. „Ich habe Hunger, es war keiner da, deshalb wollte ich …“ Weiter kam sie nicht.
„Auch gut. Wenn du schon sitzt, richte ich dir schnell die Bettstatt.“
Froh, Gesellschaft zu haben, sah Anna der Nonne beim Glätten der Betttücher zu. Täuschte sie sich oder bewegte sich die Ordensfrau so langsam wie eine Schnecke? Theodora ächzte und stöhnte, zupfte hier und zupfte dort, doch am Ende sah das Lager nicht viel besser aus als vorher. Theodora jedoch wirkte so erschöpft, als hätte sie den ganzen Tag wie eine Wäscherin geschuftet.
„So, und nun wieder hinein mit dir …“
Die Nonne bückte sich und fasste Anna unter, war aber kaum eine Hilfe. Kalt, steif und kraftlos lag ihre Hand unter Annas Arm und vermochte sie kaum zu stützen. Trotzdem bedankte sich die Kranke artig, sobald sie wieder im Bett lag. Sie erinnerte sich zwar nur bruchstückhaft an die vergangenen Tage, aber die Nonne war ihr bisher als ausgesprochen fürsorglich in Erinnerung geblieben.
„Nichts zu danken. Wie geht es dir mittlerweile?“
„Ein wenig schwach fühle ich mich noch, vielleicht kommt das vom Hunger.“
„Ich bring e dir etwas.“ Theodora erhob sich langsam, als sei ihr auch das beschwerlich. Anna wundert sich. So alt schien die Nonne nicht zu sein, aber vielleicht war sie siech?
„Schwester Theodora?“
„Ja, Kind?“
„Kann ich etwas für dich tun?“
Ein gütiges Lächeln kräuselte die Lippen der frommen Frau. „Werd erst einmal gesund und dank deinem Gott, dass du noch bei uns bist - wir haben alle für dich gebetet.“
Die Suppe hatte wunderbar geschmeckt, salzig und fettig, und Anna genoss es, dass sich jemand Zeit für sie nahm. Theodora saß auf einem Schemel an der Bettstatt und berichtete ihr schon seit geraumer Weile von allem, was sich ereignet hatte.
„Klatschnass warst du, nachdem die beiden Mitschwestern dich aus dem Fluss gezogen haben. Es war ja ganz flach an der Stelle, aber du hast mit dem Gesicht im Wasser gelegen und dich nicht gerührt, dummes Ding!“ Liebevoll strich sie Anna über den Unterarm. „Wir wollten dir trockene Sachen anziehen, doch der kleine Köter wollte uns nicht an dich heranlassen. Wir mussten ihn in einem Sack davontragen, sonst hätte er uns gebissen.“
Anna schmunzelte, Bär hatte also beschützen wollen.
Die Tür öffnete sich ohne vorheriges Klopfen, und sie stand auf der Schwelle. Anna hatte sich schon die ganze Zeit gefragt, wann sie die gestrenge Ordensfrau in dem teuren Kleid wohl wieder zu Gesicht bekäme. Nachdem sie Anna lediglich mit einem kurzen Kopfnicken bedacht hatte, wandte sie sich sogleich an Theodora.
„Was sitzt du noch hier herum? Du solltest ihr nur die Suppe bringen.“
„Ich …“ Theodora war die Farbe gänzlich aus dem Gesicht gewichen, sie schaute rechts und links, als halte sie nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau.
„Du weißt, was die ehrwürdige Mutter angeordnet hat. Die Arbeit muss bis Ostern fertig sein, und keiner darf dir helfen, sonst wird es nichts mit dem Platz in unserem Stift. Wie willst du das schaffen, wenn du hier die Amme spielst?“
Wortlos erhob sich Theodora, unterdrückte ein neuerliches Stöhnen und schritt mit zusammengepressten Lippen zur Tür. Dort wandte sie sich noch einmal halb um.
„Ich …“
„Ostern, Theodora!“
Die Schultern sanken herab, und die Tür klappte. Anna war mit dem Ordensdrachen allein.
„So, nun zu dir. Woher kommst du? Mir ist, als hätte ich dich schon einmal gesehen.“
Steif und aufrecht stand die Nonne vor dem Lager. Anna setzte sich auf, bis sie sich auf Augenhöhe mit ihrer Befragerin befand.
„Ich war mit dem Korbflechter hier, ich bin auf dem Weg nach … Osnabrück“, erwiderte Anna. Hatte sie Osnabrück gesagt? War die Stadt wirklich noch ihr Ziel? Ihr Lehrgeld war auf
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