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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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bedrohlich. Die Bewegung kam von der Seite. Etwas Großes, Schmutziggraues prallte gegen Anna und warf sie um. Noch bevor sie einen einzigen Ton herausbrachte, lag sie am Boden, eine schwere Last auf dem Körper, und starrte entsetzt in stoppelbärtige, ausgemergelte Züge. Wie der Gestank von Fliegeneiern stieg ihr widerlich süßer Atem in die Nase.
Kurz hob sich der Kopf des Mannes - war er vielleicht nur gestürzt? Doch die Faust, die sie auf sich zufliegen sah, belehrte sie eines Besseren.
Er hat Schwung geholt, dachte sie noch mit seltsamer Klarheit. Dann wurde es dunkel.

Mit äußerster Mühe öffnete Anna die Augen. Was kitzelte da so? Immer wieder kratzte ihr ein feuchtes Reibeisen über das Gesicht. Sie wischte sich mit dem Arm über die Wange, und etwas fiel neben ihr zu Boden. Bär! Der Hund hatte ihr das Gesicht geleckt. Wieso lag sie im Dunkeln am Boden, und warum konnte sie sich an nichts erinnern? Irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung. Ein schmerzhafter Krampf zog durch ihren Unterleib. O nein, bekam sie etwa ihre unreinen Tage? Sie rappelte sich auf und erhob sich unbeholfen. Sogleich wurde ihr schlecht und so schwindelig, dass sie sich am nächsten Baum abstützen musste.
Panik überfiel sie. Was war nur mit ihr? Was fühlte sich so schlimm an, dass sie es nicht wahrhaben wollte?
Das fehlende Gewicht an der Hüfte schleuderte sie in die Wirklichkeit zurück. Was auch immer mit ihr geschehen war, der Schmutziggraue hatte ihr den Leibgurt mit dem Geld geraubt.
In Gottes Namen
     
    Der Morgen musste schon angebrochen sein, als Anna erwacht war, denn als sie zum Fluss kam, war es hell. Sie schauderte vor Kälte, aber sie wollte sich unbedingt waschen. Sie raffte die Röcke - warum waren sie so zerrissen? – und stieg an einer seichten Stelle in das träge Gewässer der Hase. Sie rieb sich die blau und grün gefleckten Schenkel sauber, doch im Gegensatz zu sonst ließ sich das Blut nicht so leicht abwaschen. Es war klebrig, und es stank. Anna watete zum Ufer; sie musste sich setzen. Bär tappte vorsichtig durch das Ufergras und trank. Dann tatzte er nach dem Wasser, bekam Tropfen auf die Nase und sprang erschrocken nach hinten weg. Das war zwar drollig, aber Anna war nicht zum Lachen zumute. Sie musste versuchen, das klebrige Zeug wegzubekommen. Wahrscheinlich fühlte sie sich besser, wenn sie endlich wieder sauber war. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und zuckte zusammen. Ihr Mund und die Haut ringsum waren wund. Anna spuckte auf den Boden. Sie wollte gerade zum Ufer hinaufsteigen, als das Läuten ertönte. Schnell machte sie kehrt und suchte ihr Versteck auf. Den beiden Nonnen wollte sie an diesem Tag nicht begegnen.
Das Ausharren im Gebüsch kam Anna ewig lang vor. Tatsächlich fischten die beiden Ordensschwestern vom Tag zuvor wieder im Fluss. Diesmal ließ die Jüngere keine Essensspende zurück, soweit Anna das von ihrem Versteck aus erkennen konnte. Es war ihr recht. Sie würde nie wieder Fisch essen. Genau genommen hasste sie Fisch neuerdings.
Wie oft hatte sie sich heute schon gewaschen? Sie wusste es nicht. Die Mittagssonne hatte geschienen und war weitergezogen, und sie war wieder zum Fluss gelaufen.
Eigentlich war kein Blut mehr zu sehen gewesen, was seltsam war, dauerten die unreinen Tage sonst doch deutlich länger. Doch der fischige Gestank war noch immer nicht verschwunden. Es schien fast so, als steige er aus ihrem Innern auf.
    Die Dämmerung brach mit heftigen Windböen herein , und sie schüttelte sich. Bär jaulte hungrig, doch sie selbst hatte keinen Appetit, und so warf sie ihm ohne Bedauern den Rest der letzten Mahlzeit hin. Was war nur mit ihr? Erst war ihr kalt, dann wieder heiß, und der Kopf tat ihr weh. Vielleicht sollte sie erst einmal schlafen.
    Anna bettete sich in die Mulde, in der sie die vorletzte Nacht verbracht hatte, und schloss die Augen.
Als sie wieder erwachte, fasste sie sich entsetzt an den Hals. Er tat furchtbar weh, sie konnte kaum schlucken. Das Dröhnen im Kopf war auch schlimmer geworden. Wenigstens war ihr nicht mehr kalt, sondern fast schon zu warm. Jeder Knochen schmerzte - ob das vom Schlafen auf der kalten Erde kam? Was hätte sie für eine richtige Bettstatt gegeben! Doch in ihrer hoffnungslosen Lage konnte sie davon nur träumen. Das Geld war weg, und sie würde niemanden finden, der sie ausbildete. Sie wollte die aufsteigenden Tränen hinunterschlucken und keuchte entsetzt auf, als sie den scharfen Schmerz im Hals

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