Die Gezeiten von Kregen
Zenicce durfte ich nicht vergessen; mein Besuch dort war überfällig, ganz zu schweigen von meinen Klansleuten auf den Großen Ebenen von Segesthes.
Aber havilfarische Voller – hier, am Auge der Welt? Bemannt von magdagschem Kriegsvolk und anderem Grodnim-Pack, das sich aus dem Himmel herabstürzen würde, um das Rot Zairs zu vernichten! Wie mutig sich die Krozairs und die Roten Brüder wehren würden! Ein großartiges Ende für sie alle – kämpfend einzugehen zu den Eisgletschern Sicces! Viel Ehre! Aber aus! Schluß!
Ich besann mich. Ihnen beizustehen, konnte Delia nicht helfen. Sie mochte Verständnis haben für meine Gefühle, doch ich durfte mein Leben nicht aus Kriegerstolz gefährden.
Ich hatte schon viel zuviel Zeit am Auge der Welt verbracht, eigentlich durfte ich hier nicht verweilen und auf ein Schiff nach Vallia warten. In Magdag gab es bestimmt Galleonen, die in Richtung Heimat segelten. Ich mußte dorthin reisen, mußte ein Schiff finden und dem Kapitän als Prinz Majister von Vallia befehlen, mich unverzüglich nach Hause zu bringen. Ja, bei Vox!
Aber Delia hatte sicher nichts dagegen, daß ich mir das technische Wunder, den Damm der Tage, ansah – ein einziger Blick würde genügen. Dann nach Magdag, Vallia, Valka – nach Hause!
Ich sagte zu Duhrra: »Morgen besuche ich den Damm der Tage. Anschließend suche ich eine Stadt auf, in die du bestimmt keinen Fuß setzen willst.«
Duhrra antwortete gelassen: »Ich glaube nicht, daß es so eine Stadt überhaupt gibt, Herr.«
20
»Warum nennst du dich Dak, wenn dich unsere Unterlagen als Dray Prescot ausweisen?«
Akhram ließ seinen Blick auf mir ruhen. Wir saßen in seinem Arbeitszimmer, das ich schon von meinem ersten Besuch her kannte, inmitten von Rechentafeln, Zirkeln, Globen und anderen Geräten seines Standes.
»Seit meinem letzten Besuch sind viele Ereignisse eingetreten. Der Name Dray Prescot ist am Binnenmeer bekannt – die eine Seite jagt mich, und sollte die andere erfahren, daß ich noch lebe und mich hier aufhalte, wäre ich sofort das Ziel eines Angriffs. Der Name Dak dagegen steht in Ehren.«
»Wir halten uns von den Roten und von den Grünen fern, das weißt du. Allerdings verstehen wir die Leidenschaften, die die Menschen am Auge der Welt bewegen. Ja, ich sorge dafür, daß du den Damm der Tage besuchen kannst, und du darfst sicher sein, daß wir dich nur als Dak kennen.«
»Das ist sehr freundlich.«
So ritten Duhrra, ich und eine kleine Eskorte aus drei jüngeren Todalphemen auf Sectrixes nach Westen. Unsere Vorräte waren sorgfältig in Blätter eingewickelt. In langsamem Tempo mochte die Reise etwa fünfzehn Burs dauern – eine Zeit, die mir meine Delia sicher zugestand, ehe ich meine Pläne, nach Vallia zurückzukehren, weiter verfolgte. Vielleicht spürte ich schon damals hinter diesem Ausflug mehr als bloße Neugier auf den Damm der Tage.
Wenn Sie meine Geschichte kennen, wissen Sie, daß in mir noch ein ganz anderes und für mich typisches Motiv schlummerte – die Schiffe beförderten havilfarische Voller. Vielleicht ergab sich für mich, den alten Räuber, den alten Paktun, die Gelegenheit, mir einen Voller unter den Nagel zu reißen und damit auf direktem Wege zu Delia zurückzukehren. Das hätte jenem Dray Prescot ähnlich gesehen, den ich noch in mir hoffte.
Das Wasser im Großen Kanal war nicht tief, kaum achthundert Meter. Das war der Wasserstand, den die Todalpheme zu halten versuchten – durch ihre Agenten, die Oblifanter, die den Damm der Tage verwalteten. Wenn die Flut gegen die äußere Küste anrannte, gab es Tidenunterschiede ähnlich wie in der Fundy-Bucht – das wußte ich noch aus meiner Zeit in Zenicce und Vallia. Solche Dinge sind eine Frage der Wissenschaft – die Einwirkung von Sonnen und Monden, die Springfluten erzeugten. Mit sieben Monden, die mit- und gegeneinander arbeiteten, und den beiden Sonnen, die in diesem Zusammenhang als eine einzige Schwerkraftquelle gerechnet wurden, ergaben sich für Kregen faszinierende Möglichkeiten. Die Todalpheme leiteten ihre Unentbehrlichkeit von dieser komplizierten Materie her.
Während unseres Ritts hatte ich viel nachzudenken. Duhrra hatte einen Haken angepaßt bekommen, wobei die Ärzte der Todalpheme mit der Art der Amputation nicht zufrieden gewesen waren. Duhrra hatte mir einen amüsierten Blick zugeworfen, und ich hatte den gelehrten Herren die Wahrheit geschildert. Zum Glück war eine weitere Amputation nicht erforderlich
Weitere Kostenlose Bücher