Die Giftköchin
Kauko? Wären wir nur u m gekehrt. Was ist dir passiert?«
Nyyssönen versuchte aufzustehen, aber anscheinend hatte er sich Knochen gebrochen, er konnte sich vor Schmerzen nicht bewegen.
»Gib mir Bier«, knurrte er aus seiner liegenden Ste l lung. Linnea gehorchte brav, suchte eine Büchse, hütete sich aber, ihrem Pflegesohn zu nahe zu kommen. Kauko trank gierig, aber das tat er schließlich immer, ob seine Knochen kaputt waren oder nicht.
»Jetzt kannst du um Hilfe rufen«, beschloß Nyyss ö nen. »Aber denk daran: Wenn jemand kommt, hältst du die Schnauze, was unsere Angelegenheiten betrifft. Kein Wort von Pera oder Jari oder davon, wie es zwischen uns steht.«
Linnea piepste um Hilfe. Komisch wie Kaukos Verle t zung ihr die Stimme genommen hatte, die Todesangst von vorhin war weg, die Hilferufe waren jetzt dünn, wie man sie eben von einer alten Frau erwartete.
»Schrei lauter, verdammt nochmal! So ein Gepiepse hört kein Mensch. Vorhin konntest du es doch«, schnauzte Kauko wütend.
Linnea begann erneut zu rufen, aber mit kaum bess e rem Ergebnis, ihre Stimme brach. Jetzt stimmte auch Nyyssönen in den Chor mit ein, doch er bekam kaum mehr als ein Krächzen heraus. Vielleicht waren ihm Rippen gebrochen, denn er verzichtete auf weitere Ve r suche.
Das Boot trieb im Nebel in irgendeine Richtung, v o rangetrieben von einem schwachen Windhauch. Kauko Nyyssönen lag leidend am Boden, sein Kopf lehnte an der Ducht, die Bierbüchse an der Wange. Jedesmal wenn die Büchse leer war, reichte Linnea ihrem Pfleg e sohn eine neue. Kauko hatte sich wie stets mit einer ungeheuren Menge an Getränken eingedeckt.
»Müßtest du dich jetzt nicht etwas zurückhalten mit dem Bier? Du kriegst sonst Probleme mit der Notdurft, zusätzlich zu all den anderen Problemen hier«, bemerkte Linnea.
Nyyssönen schmollte, er antwortete nicht. Nachdem sie lange schweigend dahingetrieben waren, fragte Li n nea: »Gib zu, Kauko, du wolltest mich vorhin wirklich umbringen!«
Wieder keine Antwort.
Die nächsten zwei Stunden verliefen ähnlich. Dann war es Mittag, der Nebel lichtete sich. Kauko Nyyssönen hob den Kopf. Die Sicht betrug jetzt mehrere Kilometer, irgendwo fern in südlicher Richtung, dort, wo der So n nenball während des Nebels unbemerkt hingewandert war, ertönte schwaches Motorengebrumm, und beim genauen Hinsehen konnte man einen schwarzen Punkt erkennen. Ein Schiff oder ein großes Motorboot. Nyyss ö nen befahl Linnea, dem Fahrzeug Winkzeichen zu g e ben. Sie schwenkte ihren Muff, aber das sah natürlich kein Mensch. Nyyssönen wies sie an, die Schwimmweste am Ruderblatt zu befestigen und diese im weiten Bogen zu schwenken, dann würde man hoffentlich das in Not geratene, kleine Boot bemerken. Die alte Dame band weisungsgemäß die Schwimmweste mit den Riemen ans Ruder und stemmte das schwere, nasse Gerät hoch. Mein Gott, wie anstrengend, dachte sie. Woher sollte sie die Kraft nehmen und damit Hilfe herbeiholen? Sie versuchte, das Ruder zu schwenken wie ein Uhrpendel, ihre Hände begannen zu zittern, die orangefarbene Schwimmweste schwang hoch in der Luft von einer Seite zur anderen.
»Oh, ich kann nicht mehr, darf ich mich ausruhen?«
»Halt die Schnauze, du schwenkst jetzt das Ruder, oder ich ertränke dich auf der Stelle«, rief Kauko w ü tend.
Linnea bot ihre ganze Kraft auf, das schwere Ruder mit der daran befestigten Schwimmweste schwang hoch über dem Wasser hin und her, der Bogen des Pendels wurde immer weiter. Wenn doch endlich jenes ferne Schiff aufmerksam würde!
Schließlich ließen die Kräfte der alten Frau nach, sie bekam das Ruder nicht wieder in die Vertikale, es rutschte ihr aus der Hand und sauste herunter, zu allem Übel auf Kauko Nyyssönens Kopf. Und wie es der Teufel will, schlug das Ruderblatt genau auf seinen Stirnknochen, die Schwimmweste klatschte gegen seine Brust, ein unangenehmes Krachen war zu hören. Sonst nichts. Linnea zog das Ruder zu sich heran und starrte entsetzt auf ihren Pflegesohn. An seiner Schläfe hatte sich von der Kante des Ruderblatts eine Delle gebildet.
Mit erloschenen Augen suchte Kauko Nyyssönen in der Ferne nach dem rettenden Schiff, konnte es aber nicht mehr sehen. Linnea drückte dem gequälten Me n schen die trüben Augen zu.
Der plötzliche Tod des jungen Mannes beschämte Linnea Ravaska nicht, aber er erleichterte sie:
»Gott sei Dank, auch du hast deinen Lohn gekriegt!«
Dennoch, an den Tod gewöhnt man sich nie. Es schauderte Linnea, sie wandte dem
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